Einen Roman über den Wunsch zu sterben zu schreiben, ohne zu werten, zu verurteilen und ohne rührselig oder dramatisch zu werden, ist eine Kunst. Diese Kunstfertigkeit hat die noch junge deutsche Autorin Ronja von Rönne, die neben ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin auch für ARTE und DIE ZEIT arbeitet, in dem vorliegenden Roman unwiderlegbar bewiesen.
Hella Licht, 69 Jahre alte, abgehalfterte Rocksängerin, will zum Sterben in die Schweiz fahren, mit ihrem altersschwachen Passat über die deutschen Autobahnen. Da fällt ihr die 15-jährige Juli vor die Reifen. Sie wollte sich mittels eines Sturzes von der Autobahnbrücke umbringen, hat aber außer ein paar Schrammen und einer Zerrung nichts erreicht.
Hella, permanent damit überfordert, mit einem selbstmordgefährdeten Teenager umgehen zu müssen, nimmt Juli auf ihrer Fahrt mit. Diese erzählt Hella immer andere Schwindeleien, so unter anderem, dass sie zu ihrer Mutter nach Ulm wolle.
Doch Julis Mutter ist seit Jahren verschwunden, hat nie Interesse an ihrer Tochter bekundet. Juli leidet unter Panikattacken, Depression, Einsamkeit. Hella hingegen hadert mit ihrer derzeitigen Situation, fühlt sich überflüssig, unerwünscht, einsam. Deswegen hat sie die für die Sterbehilfe in der Schweiz nötigen Unterlagen gefälscht, sie will nicht mehr leben. So wie Juli.
Wie nun Ronja von Rönne die gemeinsame Fahrt der beiden schildert, dabei zwischen den Blickwinkeln der Beiden hin und her wechselnd, das ist faszinierend. Nie gleitet sie in Gefühlsduselei ab, nie überdramatisiert sie, stets behält sie einen lakonischen Grundton bei, der umso mehr ergreift. Sie wählt Bilder, Vergleiche, Metaphern für Julis Gefühle, die so ausdrucksstark sind, dass man schlucken muss. Hier spürt man, dass die Autorin selbst unter Depressionen leidet, dass sie kennt, worüber sie berichtet.
Demgegenüber fällt die Figur der Hella etwas ab, hier gelingt es nicht immer, Klischeehaftes zu umschiffen. Wenn der krasse Gegensatz gezeigt wird zwischen ihrer Karriere früher und ihrem heutigen Leben, dann ist da nichts Überraschendes. Dennoch oder gerade deswegen wirkt Hella ausgesprochen authentisch, eine wütende alternde Frau, die sich mit dem auf sie zukommenden, unabwendbar scheinenden Schicksal nicht abfinden will.
Die Dialoge zwischen Juli und Hella sind es insbesondere, die das Besondere des Romans ausmachen. Herrlich flapsig, frech und respektlos, wie Juli mit Hella spricht, dabei schimmern immer ihre Gefühle durch. Herrlich unbeholfen, rau und doch so bemüht, wie Hella auf Juli reagiert. Das ist real, authentisch, da ist die Leserin so unglaublich nah dran, dass es schmerzt.
Ein Roman, der nachdenklich macht, nachwirkt.
Ronja von Rönne – Ende in Sicht
dtv, Januar 2022
Gebundene Ausgabe, 256 Seiten, 22,00 €