Der Debütroman der vielschreibenden Autorin und Journalistin, den sie in ihrer aktuellen Heimatstadt angesiedelt hat, ist ein solider Krimi mit Pageturner-Qualitäten. Beim Lesen lief vor meinen Augen stets ein Film ab, was bedeutet, dass es ihr perfekt gelingt, die Handlung plastisch ablaufen zu lassen. Im Grunde, falls das nicht etwas zu hoch gegriffen ist, wäre der Roman das passende Drehbuch für einen Sonntagabend-Tatort – jedenfalls würde in meinen Augen das Ermittlerteam wunderbar in die Riege der Tatort-Kommissare passen.
Das Team besteht aus Viktoria Stahl, Oberkommissarin mit beachtlicher Aufklärungsquote und gleichermaßen beachtlichem Streitpotenzial bezüglich ihres Vorgesetzten. Zweiter wird Daniel Freund, neu angekommen in Würzburg aus Köln, mit Vorgeschichte und Vorbehalten, beruhend auf der Erfahrung, wegen seiner Hautfarbe durchaus auch mal ausgegrenzt zu werden. Diese Beiden müssen sich zusammenraufen, was angesichts von Viktorias ruppigem Charakter nicht so einfach zu werden verspricht. Doch der Fall, dem sie sich gegenüber sehen, stellt sie vor erhebliche Herausforderungen, die vor allem Daniel auch im Privatleben treffen.
Die Geschichte beginnt mit einem Selbstmord. Ein vermeintlich glücklicher Familienvater springt von einer Mainbrücke in den Tod. Wenig später gibt es weitere Tote und dann meldet sich eine mysteriöse Gruppe sogenannter „Wächter“, die sich berufen fühlen, die Welt von besonders schlechten Menschen zu befreien. Dieser Wächter nehmen den Kontakt zur Öffentlichkeit auf über die Journalistin Susanne Riehl, die zufälligerweise die Lebensgefährtin von Daniel Freund ist.
Susanne, neu in der Redaktion und sehr ambitioniert, lässt alle Vernunft hinter sich und sich von den Wächter immer mehr in die Vorgänge hineinziehen, bis sie sich schließlich selbst in Lebensgefahr bringt. Das ist die Stelle, die mir im Roman etwas überzogen wirkte, etwas unrealistisch. Aber wer blickt letztlich in die Köpfe von Journalisten und Journalistinnen, die vielleicht tatsächlich bereit sind, so weit zu gehen. Dabei auch in Kauf nehmen, die eigene Beziehung aufs Spiel zu setzen.
Dieser Handlungsstrang ist nicht der Einzige, der sich mit dem Privatleben der Ermittler beschäftigt, auch bei Viktoria schauen wir beim Lesen immer mal wieder zu Hause vorbei. Das mag manchmal zu viel sein, andererseits gehört es dazu, will man die Handlungsweisen und Reaktionen der Protagonisten verstehen. Nur dann wirken sie schlüssig, wenn man als Leserin den Hintergrund und die Geschichte der Figuren kennt. Vielleicht muss man dabei nicht alles und nicht zu viel wissen, Kirsten Nähle jedenfalls gelingt dieses Kunststück, hier die genau richtige Balance zu finden. Im Übrigen auch im Hinblick auf den Schauplatz. Auch wenn man Würzburg nicht kennt, kann man sich in das Setting gut hineinversetzen, da sie es bildhaft, aber nicht zu detailliert beschreibt.
Nach der spannenden Lektüre dieses Erstlings freue ich mich jetzt schon auf die Fortsetzung, die inzwischen erschienen ist.
Kirsten Nähle – Zwölf Sünden
Knaur, Mai 2021
Taschenbuch, 368 Seiten, 9,99 €