Auch wenn in diesem berührenden Roman manches etwas überzeichnet sein mag, habe ich ihn verschlungen. Er wird mir sicher noch eine ganze Zeit im Gedächtnis bleiben, nicht zuletzt wegen der liebenswerten und lebensechten Figuren, die die Autoren zum Leben erweckt.
Sophia ist eine ängstliche Frau. Sie hat gerade ihre Mutter verloren, ihr Mann will sich scheiden lassen, er erwartet ein Kind von einer anderen Frau. Sophia ist sozusagen vom Leben überfordert, sie will sich langsam bewegen, wo das Leben, wo die anderen Menschen von ihr Tempo und Schnelligkeit erwarten. So verlässt sie kaum noch das Haus, die Villa, in der sie aufgewachsen ist und in der sie auch mit ihrem Mann lebte. Der will ihr dieses Haus, an dem sie ganz besonders hängt, abspenstig machen.
In dieser Situation ist es nicht verwunderlich, dass Sophia nachts nicht schlafen kann. Eines Nachts twittert sie kurz entschlossen, dass sie gleichermaßen Schlaflose in Hamburg sucht. Schneller als gedacht bekommt sie Antwort, und zwar von Karla, Katharina und Margarete. Die vier ganz unterschiedlichen Frauen kommen sich schnell näher, treffen sich schließlich jede Nacht um halb drei online und erzählen von sich. Das heißt, die anderen erzählen, Sophia hört zu. Denn sie glaubt, sie hat nichts zu erzählen, da sie nichts erlebt.
Doch Karla, die eine Galerie leitet, Katharina, die völlig überforderte junge Mutter und Margarete, in den Wechseljahren steckende geplagte Hausfrau und Mutter dreier erwachsener Söhne, holen Sophia nach und nach aus ihrem Kokon. Die vier Frauen werden zu Freundinnen, eilen einander zu Hilfe, sobald das nötig ist, und nehmen die jeweils anderen so an, wie sie sind.
Daran wächst Sophia, überwindet immer wieder ihre Angst. Wie es der Autorin gelingt, diese Veränderung in der einsamen und sensiblen Frau zu beschreiben, das ist bewundernswert. In kleinen, manchmal winzigen Schritten, immer wieder von Rückschlägen gebeutelt, findet Sophia nach und nach zurück zu Selbstbewusstsein, zu Selbstsicherheit, auch wenn es sehr langsam geschieht. Und gerade daher sind diese Beschreibungen, ist diese Schilderung so realistisch und deswegen auch so berührend. Dabei gibt es auch viele humorvolle, amüsante Erlebnisse, die das Ganze leichter machen und auflockern.
Ich habe diesen Roman regelrecht verschlungen, denn er ist genau die Art Geschichte, die ich liebe: Die Geschichte von Freundschaft, Vertrauen, von starken Frauen und ihrem Kampf für ihr Glück. Dabei hat mir auch vor allem sehr gut gefallen, dass Kristina Sanders es gelingt, das ganze aus einer einzigen Perspektive, der von Sophia, zu erzählen, und nicht der heute so üblichen mehrperspektivischen Art des Erzählens verfiel. Chapeau.
Kristina Sanders – Nachts ist man am besten wach
dtv, März 2023
Taschenbuch, 365 Seiten, 12,95 €