Bei diesem Roman, der im Original bereits 2009 erschien, scheint mir der französische Originaltitel wesentlich passender als der deutsche: „Carrefour des nostalgies“ ist ein wunderbar poetischer Ausdruck dessen, worum es in dem Buch von Antoine Laurain geht.
François Heurtevent ist seit vielen Jahren Bürgermeister von Perisac, als er völlig unerwartet nicht wiedergewählt wird. Für ihn ist das ein großer Schlag und es fällt ihm sehr schwer, das zu verarbeiten. Er wird nahezu depressiv und lässt sich immer mehr gehen, so dass seine Frau, eine berühmt Sterneköchin, sich große Sorgen um ihn macht. Als ihm unvermutet ein altes Klassenfoto aus seiner Abiturzeit in die Hände fällt, beschließt er, herauszufinden, was aus den früheren Mitschülerinnen und Mitschülern geworden ist und er begibt sich so auf eine weite Reise in seine Vergangenheit.
Parallel blickt er auch immer wieder zurück auf seine politische Karriere, die vor allem von dem Freund seiner Eltern, dem mittlerweile verstorbenen André Dercours, gefördert worden war. Dass François dabei mehr über diesen und über sich selbst herausfindet, als er erwartet hat und als ihm manchmal lieb ist, stürzt ihn immer wieder in ein Gefühlschaos.
Die Schilderungen der diversen Karrieren der früheren Klassenkameraden und Kameradinnen sind witzig, vielschichtig, einfallsreich. Und die Lebensläufe der Männer und Frauen sind ausgesprochen unterschiedlich, mal mehr und mal weniger „normal“. Bei seiner Suche nach den alten Freunden klärt sich für Francois auch so manche Frage und manches Geheimnis aus alten Tagen. Und auch aus neueren, wie sich herausstellt, als sich der Verdacht des Wahlbetrugs verdichtet.
Nahezu philosophisch mutet mich dieser Roman an. Die Reminiszenzen an die Jugendzeit des Protagonisten, seine nachdenklichen Betrachtungen und Analysen der so verschiedenen Entwicklungen all der Menschen, die er einmal kannte und die kritische Auseinandersetzung mit seinem eigenen Leben sind vom Autor mit großem Feingefühl, mit leisem Humor, sanfter Ironie, mit Verständnis und Augenzwinkern in Worte gefasst.
Ich habe bereits andere Romane von Antoine Laurain mit großem Vergnügen gelesen und auch dieser hier hat mich nicht enttäuscht. Dabei liegt allen seinen Büchern eine gewisse philosophische Lebensbetrachtung zugrunde und doch sind sie alle sehr unterschiedlich.
Das vorliegende ist ein geruhsamer Roman ohne große Action oder Spannung, aber voll hintergründiger Menschenkenntnis.
Antoine Laurain: Glücklicher als gedacht
Atlantik, April 2020
Paperback, 288 Seiten, 16,00 €