Kurze Zeit nach seinem Rücktritt (oder seiner Entlassung?), aber noch vor der Präsidentschaftswahl in den USA erschien John Boltons Buch. John Bolton war 519 Tage lang Nationaler Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten – amtlich „Assistant to the President for National Security Affairs“. In dieser Funktion hatte er engen Kontakt zu Trump und war maßgeblich an Entscheidungen des Präsidenten beteiligt, die weitreichende internationale Bedeutung hatten und noch haben.
Das Buch ist nicht chronologisch aufgebaut, sondern greift in 15 Kapiteln jeweils ein weltpolitisch bedeutsames Thema auf, wie die Annäherung an Nordkorea, die Sanktionen gegen den Iran oder gegen Syrien, die Teilnahme am G7-Gipfel, um nur einige zu nennen.
Für ein Honorar von 2 Millionen USD, so ist zu lesen, berichtet Bolton als Insider aus der Herzkammer der amerikanischen Machtzentrale, dem Oval Office, eben dem „Raum, in dem alles geschah“, über Machtmissbrauch, Amtsanmaßung, politische Inkompetenz und rechtswidrige Handlungen. Basierend auf seinen minutiösen Notizen und Protokollen zeichnet er die Konturen der Persönlichkeit des mächtigsten Mannes der Welt mit groben Strichen nach. Allerdings ist vieles davon auch schon anderswo geschrieben und kommentiert worden.
Wesentlich interessanter erscheint, was Bolton über sich selbst und seine Kollegen preisgibt. Dabei wird offensichtlich, wie dieser Machtapparat funktioniert und welchen Einfluss dessen Berater haben. Man sollte in Bolton nicht den Whistleblower sehen, der die Politik der Trump-Administration nicht mehr mittragen und die Wähler wachrütteln möchte. Bolton war und ist konservativer Hardliner, der schon unter Ronald Reagan, George Bush senior und George W. Bush gedient hat und der die Zeit der Obama-Regierung nach eigenem Bekunden als eine Zeit des Leidens erlebt hat.
Es muss nachhaltig an Boltons Ego gekratzt haben, dass er nach Trumps Amtsantritt nicht sofort zum Außenminister berufen wurde, ja nicht einmal für die Übernahme eines bedeutungsvollen Amtes vorgesehen war. Im ersten Kapitel „Der lange Marsch zu einem Eckbüro im Westwing“ beschreibt Bolton auf 47 Seiten, wie er seine Dienste immer wieder anbieten musste, um ein bedeutungsvolles Amt zu bekommen, weil er wußte, was zu tun ist.
Boltons Buch zeigt, dass es Trump ohne das System Trump, also ohne seine Unterstützer, so nicht gäbe. Trump muss die Interessen dieser Unterstützer in und außerhalb der Regierung sowie die seiner Stammwählerschaft befriedigen. Maßstab aller Dinge ist die Frage: „Schadet es meinem Ansehen bei den Wählern?“ Bei anstehenden Entscheidungen wird diese Frage im Oval Office nicht nur einmal gestellt, berichtet Bolton. Wie die Berater, Minister oder hohe Beamte jedoch über die Führungskompetenz des POTUS (President of the United States) denken, beschreiben die kleinen Epsioden am Rande. Ein Beispiel: Während eines Gesprächs anlässlich des ersten Treffens zwischen Trump und dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un, an dem auch Bolton und Pompeo teilnahmen, steckt Pompeo Bolton einen Zettel zu mit der Nachricht: „Der (gemeint ist Trump) labert nur Scheiße.“ (S. 140). Man muss wohl davon ausgehen, dass sich dies so zugetragen hat und die Übersetzung den Inhalt richtig wiedergibt.
Das Buch liest sich stellenweise etwas schwer. Das liegt unter anderem an der Übersetzung, die sich eng an die amerikanische Vorlage zu halten scheint. Durch den ungewohnten Satzbau gehen an vielen Stellen die Bezüge zwischen Handlungen und Personen verloren und man muss solche Stellen mehrfach lesen, um die Zusammenhänge zu verstehen. Auch Floskeln in Form von Dreiwort-Sätzen wie „Ich stimmte zu.“ – „Er stimmte zu.“ tauchen inflationär auf.
Fazit: Nicht viel Neues oder gar „Atemberaubendes“ wie im Klappentext vermerkt über Trump. Dennoch war es interessant, zu erfahren, wie die Entscheidungsprozesse im Oval Office ablaufen, insbesondere im Vorfeld von Ereignissen, die wir alle in der Berichterstattung verfolgen konnten. Die Treffen mit Kim Jong-un, die Sanktionen gegen den Iran, der Ausstieg aus dem Klimaabkommen, nur um einige zu nennen. Wohl wissend, dass dies immer aus der ganz speziellen Perspektive von John Bolton wiedergegeben wird, dem Mann, der „weiß, was zu tun ist“. Wird das Buch etwas bewirken, gar Trump schaden, seine Wiederwahl verhindern? Vermutlich nicht, bestenfalls kratzt es an Trumps Ego, so wie die weiteren Enthüllungsbücher, die zurzeit auf dem Markt sind. Der Blick durchs Schlüsselloch in den „Raum, in dem alles geschah“ war aber in jedem Fall eine interessante Lektüre.
John Bolton: Der Raum in dem alles geschah
Das neue Berlin, August 2020
Gebundene Ausgabe, 638 Seiten, 28,00 €