„Jax sagt, wenn man nicht weiß, wohin man will, weiß man nie, wann man da ist, und dagegen kannst du nichts sagen, Normie Boy.“ (S. 17)
Jax ist tot. Der Rolls-Royce unter den besten Freuden. Jetzt muss Norman seine Karriere als Comedy-Star allein beginnen, ohne Jax, der doch der tragende Partner in ihrem Duo war.
Norman Foreman ist zwölf Jahre alt, höflich, zurückhaltend, am ganzen Körper von Schuppenflechte geplagt und auf dem Weg, ein gefeierter Comedian zu werden – hofft er. Norman und sein Freund Jax haben einen Fünf-Jahres-Plan geschmiedet und besiegelt, als sie zehn waren. Mit fünfzehn wollen sie zum berühmten Fringe-Festival nach Edinburgh.
Doch dann stirbt Jax und Normans Welt bricht zusammen. Für ihn ist Jax‘ Tod unbegreifbar und so hat er das Gefühl, dass sein Freund noch immer für ihn da ist, mit ihm kommuniziert. So ist es auch, nach Normans Empfinden, Jax, der den Fünf-Jahres-Plan abändert. Nun stehen da die Punkte: 1. Mich um Mum kümmern, 2. Dad finden, 3. Beim Edinburgh Fringe auftreten (S. 32)
Dass Norman meint, sich um seine Mum kümmern zu müssen, zerreißt dieser fast das Herz. Denn Sadie, zart, klein, mit kaum vorhandenen Kochkünsten und angestellt auf einem Schrottplatz, hält sich für eine absolute Versagerin als Mutter. Zumal auch Punkt 2 auf seinem Plan auf ihrem vermeintlichen Versagen beruht: sie weiß nämlich nicht, wer Normans Vater ist. Da kämen mehrere in Frage.
Doch da Sadie im Gegenteil eine wunderbare, ihren Sohn vergötternde Mutter ist, tut sie alles, um ihm bei der Umsetzung seines Plans zu helfen. Unerwartete Unterstützung erhalten die Beiden von Leonard, dem frisch gefeuerten 80-jährigen Putzmann an Sadies Schrottplatzarbeitsstelle. Dank diverser, sehr multipler kostenloser Fortbildungskurse ist Leonard imstande, mit Hilfe des Computers Routenpläne ebenso zu erstellen wie Vaterfindungslisten. Also gehen die Drei zusammen auf die Reise nach Edinburgh, mit dem Plan, unterwegs die möglichen Vaterschafts-Kandidaten aufzusuchen.
Julietta Henderson, aufgewachsen in Australien, hat schon in vielen Ländern gelebt und gearbeitet. Dieser Roman ist ihr Debüt. Und was für eins! Dieser Roman ist ganz sicher mein bisheriges Highlight 2021!
Der Roman erinnert an so einprägsame Geschichten wie „Miss Gladys und ihr Astronaut“ von David M. Barnett, an „Weit weg und ganz nah“ von Jojo Moyes oder an „Pandatage“ von James Gould-Brown (auch ein Debüt) – und übertrifft diese doch. So kitschig sich die Inhaltsangabe anhört und so schmalzig die Geschichte sein könnte: Es findet sich kein Kitsch, kein Pathos und kein Klischee in diesem Roman, die Gefühle sind authentisch und lebensecht, die Figuren natürlich und lebendig, die Handlung, wenn auch romantisch, so doch realistisch, die Entwicklung der Protagonisten logisch und nachvollziehbar.
Die Autorin erzählt die Geschichte wechselweise aus der Perspektive von Sadie und von Norman. Und es gelingt ihr formidabel, die Sprache eines Zwölfjährigen auszudrücken und dem gegenüber die tiefe Verzweiflung Sadies, die unermessliche Liebe zu und ihre Sorge um ihrem Sohn in gefühlvolle und gleichzeitig herrlich humorvolle Worte zu fassen. Ständig schwankt man beim Lesen dieser Geschichte zwischen Weinen und Lachen, möchte man Sadie ganz fest in den Arm nehmen, möchte ihr zurufen, welch unvergleichliche Mutter sie ist. Und möchte Norman bei seinen Auftritten beistehen, ihm zujubeln und ihn anfeuern. Wenn Norman wieder einmal spürt, wie sehr er Jax vermisst, möchte man in Tränen ausbrechen. Wenn Norman in Edinburgh in abenteuerliche Geschehnisse in einer Spielhalle gerät, schüttelt es einen vor Lachen.
Die herrlichen Sonderlinge, denen die Drei auf ihrer Reise begegnen, die Reaktionen der vermeintlichen Väter auf die überraschende Neuigkeit, die Geheimniskrämerei Leonards und immer wieder Norman, der nahezu jeden Satz Jax‘ im Kopf behalten hat und ihn immer wieder zitiert wie eine unverbrüchliche Lebensweisheit. Doch auch er selbst sammelt neue Erkenntnisse, so als er zum ersten Mal nach Jax‘ Tod wieder herzhaft lachen kann: „Außerdem glaube ich, dass man vielleicht für jeden Tag oder jeden Monat ein gewisses Maß an Lachen zur Verfügung hat, das aufgebraucht werden muss. Und vielleicht staut sich das Lachen auf, wenn man traurig ist, und wenn man dann zum ersten Mal nicht mehr traurig ist, kommt alles auf einmal raus. Denn nachdem ich erst mal angefangen hatte, war es ziemlich schwer, wieder aufzuhören.“ (S. 173)
Ein Hoch auf die Übersetzerin Juliane Zaubitzer dieses fulminant wunderbar poetisch herzerwärmenden Romans, die es schafft, die Sprache des Jungen ebenso wie die abgefahrenen Vergleiche Sadies ins Deutsche zu übertragen.
Ich kann nur hoffen, dass Julietta Henderson noch viele Romane schreibt, ich werde sie sicher alle lesen.
Julietta Henderson – Norman Formans Weg zum Ruhm
aus dem Englischen von Juliane Zaubitzer
Droemer, April 2021
Gebundene Ausgabe, 352 Seiten, 20,00 €
Wow, thank you so much! 😊 I’m so pleased you loved it. 💕