Bei diesem Roman bin ich voreingenommen, denn ich mag Familienromane, die über mehrere Generationen das Schicksal einer Sippe schildern. Genau das ist nämlich das Thema von „Mitgift“, einem Roman, der für den Deutschen Buchpreis 2021 nominiert ist.
Henning Ahrens, deutscher Schriftsteller und Übersetzer, der bereits für andere Werke mit Preisen ausgezeichnet wurde, erzählt im vorliegenden Buch von einer Bauernfamilie in Niedersachsen, die seit mehr als 200 Jahren ein und denselben Hof bewirtschaftet. Besonders konzentriert er sich auf die Ereignisse in der Mitte des 20. Jahrhunderts, also während und nach dem Zweiten Weltkrieg.
Auf verschiedenen Zeitebenen, die einigermaßen erratisch aneinandergereiht sind, verfolgen wir die Schicksale der Familie Leeb und ihrer Nachbarn, Freunde und Feinde. Dreh- und Angelpunkt ist Wilhelm Leeb, 1902 geboren, ein strenger, selbstgerechter Mann und Vater. Der eigene Hof und die Familie stehen über allem, dem haben sich alle anderen unterzuordnen. Damit hat vor allem sein Sohn, Wilhelm junior, schwer zu kämpfen, ihm gelingt es nie, sich gegen den Vater zu behaupten.
Rückblicke auf die erste Generation der Leebs im 18. Jahrhundert zeigen, dass bereits dort die Selbsteinschätzung der Familie und die Charaktere vorbestimmt waren.
Wir erleben Wilhelm senior im Krieg und danach in Kriegsgefangenschaft, wie er sich durchlaviert, wie er leidet an den Verhältnissen, in die er sich nicht einfügen mag und kann.
Wir erleben seine Frau Käthe, stets um Anpassung bemüht, stets sich unterordnend, und seine Mutter Magda, die für Wilhelm sakrosankt und unfehlbar ist. Wir erleben sie dabei, wie sie kämpfen müssen im Krieg ums Überleben, gegen den Mangel an allem. Und wie Wilhelm nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft mit ihnen umspringt. Sein Despotismus, insbesondere gegenüber seinem Sohn und seiner Frau ist manchmal schier unerträglich für die Leserin.
Wilhelm Leeb senior ist ein ausgesprochen unsympathischer, überheblicher Protagonist, der aber trotzdem oder vielleicht gerade deswegen ungemein fesselnd und interessant ist. Distanzierte Beobachterin der Familie und ihres Schicksals ist die Nachbarin Gerda, die sich im Dorf immer um die Toten gekümmert hatte und nun, so beginnt der Roman, zu den Leebs gerufen wird.
Auch wenn mir die häufigen, keiner chronologischen Ordnung folgenden Zeitsprünge nicht so zusagten, da man sich stets wieder neu in die Szenen einfinden musste, hat mir der Roman in Gänze sehr gut gefallen. Manche der kurzen Szenen, bei denen sich mir oft der Sinn der gewählten Reihenfolge nicht wirklich erschloss, hätte man zu einer längeren zusammenfassen können, dann wäre der Lesefluss etwas gleichmäßiger gewesen.
Aber die Figuren sind ausgeprägt, tief schattiert und nachvollziehbar aus ihrer Geschichte, die Beschreibung der Lebenssituation auf dem Land zu den verschiedenen Zeiten, die Darstellung der Härte und der Beschwerlichkeit der Arbeiten, die Schilderung der Verhältnisse zwischen den zusammenlebenden Generationen, all das ist anschaulich, fesselnd, spannend und dramatisch.
Nicht nur für Freunde von Familienromanen eine Leseempfehlung
Henning Ahrens – Mitgift
Klett-Cotta, August 2021
Gebundene Ausgabe, 345 Seiten, 22,00 €