Dieses Buch habe ich mit sehr unterschiedlichen Gefühlen durchgeblättert, gelesen und angeschaut. Zum einen bin ich unglaublich beeindruckt von den wirklich faszinierenden Fotos, die einen ergreifen, berühren und – das ist der zweite Gefühl – sehr traurig machen. Dieser Verfall, der sich in diesen Fotos manifestiert, ist so bedrückend und erschreckend, dass man eigentlich nur weinen kann.
Und das dritte Gefühl ist die Inspiration, die man aus diesen Fotos ziehen kann. Beim Betrachten der Bilder dieser verfallenen Häuser, dieser zurückgelassenen Gegenstände, dieser Trümmer, Schäden und Verrottung, geht mit einer Autorin natürlich sofort die Fantasie durch, es entstehen Geschichten im Kopf, man sieht die Dinge, die sich früher in diesen Räumen zugetragen haben könnten oder was demnächst geschehen könnte.
Es sind Fotos aus vielen Jahren, ja Jahrzehnten und es sind Fotos aus allen Teilen Deutschlands, wenn man auch gefühlt den Eindruck bekommt, die meisten stammen von verlassenen Orten in Ostdeutschland, in den sogenannten neuen Bundesländern.
Es sind Fotos von Kirchen, Schlössern, Gutshöfen, von Kinosälen, Gastwirtschaften, Fabrikgebäuden. Fast meint man, gleich müsse eine elegant gekleidete Dame die weit geschwungene Holztreppe in der Residenz in Thüringen herunterschreiten. Fast meint man, die Musik zu hören, die einst durch den Tanzsaal des Ballhauses in Sachsen klang.
Es sind teilweise noch fast vollständig eingerichtete Räume, die man auf den Fotos sieht, viele Stuhlreihen in der Bezirksparteischule in Sachsen-Anhalt. Man sieht die Parolen, die noch die Wände „zieren“ in den ehemaligen Militärräumen, den Lagern und Kasernen. Ja, sogar aus der NS-Zeit finden sich noch Relikte.
Ich vermag mich kaum vorzustellen, welche Gefühle der Fotograf Aurélien Vilette hatte, während er diese Gebäude, die Ruinen durchstreifte auf seinen mehr als 15 Reisen durch das Verlassene Deutschland.
Ein ungemein fesselnder Fotoband, der dabei entstand.
Aurélien Vilette – Verlassenes Deutschland
Jonglez Verlag, November 2022
Gebundene Ausgabe, 256 Seiten, 39,95 €