Jarka Kubsova – Marschlande

⭐⭐⭐⭐

Zwei Frauenschicksale, die unterschiedlicher nicht sein könnten

Bei meinem Eindruck zu diesem Buch bin ich zwiegespalten. Oder vielmehr habe ich zwei Meinungen dazu. Der Stil ist unvergleichlich gut, so wie auch schon im Roman „Bergland“ von Jarka Kubsova, den ich sehr mochte. Ihre Beschreibungen, ihre Darstellung der Gedanken und Gefühle der beiden Protagonistinnen sind wieder gelungen.

Doch wie die Frauen agieren, wie sie empfinden, da fehlt mir der Zugang. Aber auch hier muss man wieder unterscheiden, denn es ist vor allem die in der heutigen Zeit spielende Handlung,  mit der ich nicht klarkam.

Worum geht es: Britta zieht mit ihrem Mann und den zwei Kindern von Hamburg aufs Land. In einen „Eispalast“, wie die Einheimischen das Haus nennen, welches die Familie sich gekauft hat. Brittas Mann Philipp ist sehr dominant und hat sich wenig darum gekümmert, ob Britta sich in den Haus wohlfühlt. Es ist seine Wahl und damit basta. Es fällt Britta, die eigentlich Akademikerin ist, die vor den Kindern eine Arbeit hatte, die sie ausfüllte, schwer, sich in der Einöde einzuleben. Lange Spaziergänge bringen sie schließlich auf die Idee, über eine Frau, die vor fast 500 Jahren lebte, zu recherchieren.

Diese Frau ist Abelke Bleken, die im 16. Jahrhundert alleine einen Hof bewirtschaftete, den sie von ihrem Vater geerbt hatte. Doch sie schafft es nicht, zu vieles ist gegen sie, die Natur, deren Gewalten in Form von Sturmfluten und Deichbrüchen, die Nachbarn und die Neider, vor allem aber die Männer. Abelke versucht alles, um ihren Hof zu halten, verliert ihn am Ende aber doch, muss als Magd arbeiten und wird, was bereits im Prolog angedeutet wird, schließlich als Hexe verbrannt. Die Figur der Abelke ist authentisch, steht aber ohnehin für viele Frauen aus dieser Zeit, deren Schicksal ähnlich verlief.

Diese beiden Frauenschicksale miteinander zu vergleichen, sie nebeneinander zu stellen, scheint mir gewagt und eigentlich nicht möglich. Abelke in ihrer Zeit war dem ausgeliefert, hatte wenige oder gar keine Chancen, ihrem Schicksal zu entkommen. Britta hingegen wirkt auf mich wie eine gelangweilte, unausgefüllte Hausfrau und Mutter, die sich ihr „Schicksal“ selbst ausgewählt hat. Sie lässt sich von ihrem Mann fremdbestimmen, klagt und jammert, ohne selbst irgendwelche Initiativen zu ergreifen. Das mag nachvollziehbar sein, aber gerade im Vergleich mit dem Leben der Frau vor 500 Jahren scheint es mir doch Jammern auf arg hohem Niveau. Britta wird erstaunlich naiv beschrieben, ihre Reaktionen auf Philipp, auf ihre Kinder und auf andere Menschen wirken oft unbeholfen. Das passt nicht zu dem Leben, das sie vorher geführt haben soll.

Dazu kommt ihr Mann Philipp. Seine Figur ist ein wandelndes Klischee: Er bestimmt, sie ist an allem schuld. Er hilft nicht im Haushalt, weil ach so müde von seiner ach so wichtigen Arbeit. Sogar sein Verhalten bei der Trennung ist ein Klischee. Schade.

Besonders nachhaltig hingegen hat mich eine Szene im Buch beeindruckt. Als Britta bei einer Bekannten, die in dieser Richtung recherchiert, vor einem Regal voller Ordner steht. Diese sind gefüllt mit Akten, Notizen, Berichten und Geschichten über Frauen, die wichtig waren, die gelebt haben und von Männern unterdrückt wurden. Frauen, die von der Geschichte übergangen, vergessen wurden. Die Frau, die diese Ordner füllt, sorgt beispielsweise dafür, dass Straßen nach diesen Frauen benannt werden. Das erinnerte mich daran, dass nur ein Bruchteil der Straßen in Deutschland nach Frauen benannt sind. Das Thema hat auch Torsten Körner bereits in seinem Buch „In der Männer-Republik“ aufgegriffen.

So lässt mich der Roman, wie gesagt, zwiegespalten zurück. Ich mag die Art, wie Jarka Kubsova schreibt. Wenn sie beschreibt, wie die Landschaft in den Marschlanden ist, wie der Wind über den Deich braust, dann meint man das zu sehen, zu fühlen. Aber die Figur der Britta hat mich nicht erreicht, nicht überzeugt.

Jarka Kubsova – Marschlande
S. Fischer, August 2023
Gebundene Ausgabe, 318 Seiten, 24,00 €


Schau auch hier: Jarka Kubsova – Bergland

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