Jammern auf hohem Niveau – ein Roman um überforderte Mütter
Ein oft, vor allem in nordamerikanischen Romanen und Filmen verarbeitetes Thema: Mütter und solche, die es werden wollen, ihre Überforderung, ihre Belastung, ihre Eifersüchteleien und ihre überdramatisierten Probleme.
Dieser Roman aber ist mir zu jammervoll, zu negativ, zu voller Selbstmitleid. In leider arg egozentristischer Manier werden hier vier Frauenfiguren dargestellt, deren Gedanken sich vor allem um sich selbst drehen, die ihr Luxusleben nicht genießen können.
Vier Frauen, Nachbarinnen, hadern auf unterschiedliche Weise mit ihrem Muttersein oder eben gerade der ausbleibenden Mutterschaft. Whitney, drei noch recht kleine Kinder, erfolgreich berufstätig, stets gestresst durch ihre Kinder. Blair, eine Tochter, der nichts über das Muttersein geht, die aber dennoch unterfordert und unausgefüllt ist. Rebecca, nach unzähligen Fehlgeburten immer noch auf ein Kind hoffend. Und Mara, die übersehene alte Nachbarin, deren Sohn nie erwähnt wird, an dessen Tod sie sich die Schuld gibt.
Dann geschieht ein Unglück, Whitneys 10-jähriger Sohn Xavier fällt nachts aus dem Fenster und verletzt sich schwer. Alle in der Nachbarschaft fragen sich, was geschah und warum. Whitney selbst schweigt, sitzt sprachlos am Bett ihres Kindes im Krankenhaus und weiß nicht, ob sie sich wünschen soll, dass er überlebt.
Blair, angeblich Whitneys gute Freundin, stöbert derweil heimlich in deren Wohnung, wühlt in Schubladen und Schränken, stößt dabei auf Dinge, die sie lieber nicht gefunden hätte. Rebecca, Ärztin in der Klinik, in welcher Xavier behandelt wird, kann sich nicht auf ihre Arbeit konzentrieren, eine neue Schwangerschaft beschäftigt sie und die Angst, dass es auch diesmal nicht klappt.
Daneben Mara, die alle und alles immer beobachtet. Und die Ehemänner der Frauen. Diese jedoch sind nicht viel mehr als Statisten. Abgesehen davon, dass irgendwie alle irgendwas mit Whitney haben oder haben könnten, so der Verdacht der Ehefrauen.
Immer wieder wechseln die Perspektiven zwischen den vier Frauen und auch zeitlich macht der Roman immer wieder Sprünge. Mal folgt man der aktuellen Handlung, sieht Whitney im Krankenhaus. Mal gibt es Rückblicke auf lange zurückliegende Ereignisse, mal auf eine Gartenparty einige Woche vor dem Unfall, an der sich Whitney eine Entgleisung leistete, die nun auf ihr lastet.
Zwar ist der Erzählstil der kanadischen Autorin ganz gut, kann aber nicht über die vielen Längen in dem Roman hinwegtrösten. Dazu kommt dieses Lamentieren, dieses permanente sich selbst Leidtun der Frauen, die genug Geld haben, Kindermädchen, Luxus und alles, nur zufrieden sind sie nicht. Im Grund waren alle vier jeweils für sich ein sehr dick aufgetragenes Klischee.
Durch die ständigen Sprünge in Zeit und Perspektive, durch die sehr oberflächlich dargestellten Figuren, durch die permanente Beschäftigung mit sich selbst konnte ich mich nicht in die Charaktere hineinfühlen, kein Mitgefühl konnte entstehen. Sie hatten keine Tiefe, keine Schärfe, waren Abziehbilder.
So konnte der Roman meine Erwartungen nicht erfüllen.
Ashley Audrain – Das Geflüster
aus dem Englischen von Lotta Rüegger und Holger Wolandt
Penguin, April 2024
Gebundene Ausgabe, 349 Seiten, 22,00 €