Margaret Kennedy – Die englische Scheidung

⭐⭐⭐⭐

Die gute Gesellschaft unter dem Brennglas – unterhaltsam und typisch englisch

Einen Klassiker zu rezensieren, ist zweischneidig. Würde man ihn doch in der Zeit, als er erschien, ganz anders gelesen, anders rezipiert haben als heute. Heute blickt man mit der aktuellen Brille auf den Roman, beeinflusst von dem heute üblichen Stil, dem Duktus und den Handlungstypen, die man gewöhnt ist, die man täglich liest.

Daher kann die Besprechung eines Romans, der im Original zuerst im Jahr 1936 erschien, nur mit Vorsicht und Bedacht formuliert werden. So ist schon allein die damals gebräuchliche auktoriale Erzählperspektive heute eher ungewöhnlich. Im vorliegenden Roman der 1896 geborenen Autorin, die mit mehr als 15 Romanen erfolgreich war, passt dieser Erzählstil aber perfekt, erlaubt er doch einen Blick in die Gedankenwelt aller Protagonisten.

In diesem Spiegel der sogenannten guten englischen Gesellschaft geht es um das Ehepaar Alec und Betsy Canning. Sie haben drei Kinder, sind einigermaßen gut situiert, doch in ihre Ehe ist Langeweile eingekehrt. Betsy fühlt sich unverstanden, ausgenutzt, während Alec, ein eher träger Mensch, am liebsten seine Ruhe hat. Alec schreibt Librettos zur Musik seines Freundes Johnnie, Betsy hingegen reibt sich auf zwischen der Kindererziehung, der Pflege des Haushalts, der Anleitung der Dienstboten sowie der weiteren Familie.

Da sind vor allem die Mütter der Beiden. Insbesondere Alecs Mutter Emily Canning mischt sich gerne und auf sehr subtile Weise in das Leben ihres Sohnes und seiner Familie ein. Als sie nun von Betsys Mutter erfährt, dass Alec und Betsy beschlossen haben, sich scheiden zu lassen, und zwar in absolut freundschaftlicher Weise, will sie das unbedingt verhindern.

Und nicht nur sie, auch andere mischen sich ein, Freunde, Personal, Verwandte und sogar die Familie Bloch. Die deutschen Juden sind nach England geflohen und Alec hatte ihnen Unterschlupf gewährt in einem Haus auf seinem Grundstück, sehr zum Verdruss seiner Frau.

Alle haben eine Meinung, alle halten mal zu dem einen Ehepartner, mal zum anderen, wechseln auch schon mal die Seiten. Dass Alec eine Affäre mit einem der Dienstmädchen beginnt, sorgt zusätzlich für Aufruhr, auch darüber wird in der Gesellschaft natürlich heftig diskutiert. Dazu kommen dann noch die Kinder Eliza, Kenneth und die Jüngste, Daphne, die selbstverständlich am meisten betroffen sind und jeweils Stellung beziehen.

All das wird erzählt auf eine sehr fesselnde Weise. Mit spitzer Feder, hintergründigem Humor und liebevollem Verständnis  seziert die Autorin die Beziehungen innerhalb einer Familie, die Verflechtungen und die Reaktionen in der englischen Gesellschaft. Mal mittels einer langen Unterhaltung der beiden Mütter des Paares, mal in Form einer heftigen Diskussion unter den Kindern und mal als ein ganzes Kapitel in Form von diversen Briefen, die zwischen den Freunden und Verwandten der Familie Canning hin und her gehen – und dabei einiges offenbaren und erzählen.

Die bereits erwähnte auktoriale Erzählperspektive bringt es dabei mit sich, dass man beispielsweise mal „im Kopf“ der Tochter Eliza ist und im nächsten Absatz verfolgt man die Gedanken Kenneths. Das wechselt häufig, vor allem während eines Dialogs, manchmal gar innerhalb eines Satzes. Das sorgt für Dynamik und obwohl man es heute nicht mehr sehr gewöhnt ist, passt es hier hervorragend und bringt Spannung und Tempo in den Roman.

Auf der anderen Seite wirken die etwas langatmigen Beschreibungen heute eher langweilig, zäh. Sie bremsen die Handlung manchmal etwas aus. Dennoch ist  der Roman, nicht nur für Liebhaber englischer Sittengemälde, ein empfehlenswertes Buch, auf dessen Stil man sich aber einlassen wollen muss.

Margaret Kennedy – Die englische Scheidung
aus dem Englischen von Petra Post und Andrea von Struve
Schöffling & Co., Mai 2024
Gebundene Ausgabe, 395 Seiten, 24,00 €

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