Vier Männer fast am Lebensende beginnen zu leben – nachdenklicher Debütroman
Vier alte Herren trauern, denn ihr Chor gibt auf. Es gibt keinen Nachwuchs mehr, die derzeitigen Chormitglieder sind alt und müde. Daher sehen sie nun ihrem letzten Auftritt entgegen.
Das ist allerdings für diese vier Männer mehr als schmerzlich, denn der Chor war für sie wie eine Heimat, ein Hafen, fast eine Familie. Hier haben sie sich wohlgefühlt, konnten reden und gemeinsam schweigen, viele Jahre lang.
Vor diesem letzten Auftritt veranlasst sie das, auf ihr Leben zurückzublicken – ein Leben, das für keinen von ihnen ein Zuckerschlecken war. Der Roman folgt den Gedanken von Hugo, Otto, Hans und Carl, die sich auf den Abschiedsauftritt vorbereiten. Jeder der Männer bekommt ein Kapitel, in welchem seine Geschichte, die Geschichte seiner Familie, seines Lebens erzählt wird.
Da ist Hugo, dessen Enkel spurlos verschwand, weil Hugo einmal nicht die Wahrheit sagte – gut gemeint, aber schlecht durchdacht.
Da ist Hans, dessen Frau den eigenen Sohn ablehnt, weil er von Contergan geschädigt geboren wurde. Die Frau, die statt zu leben vor dem Fernseher sitzt und alles kauft, was die Verkaufskanäle anbieten.
Da ist Otto, vergrämt und verbiestert, der seinen Sohn Robert schikaniert, der ihn aufopfernd pflegt und darüber sein eigenes Leben fast vergisst.
Da ist Carl, der immer noch um seine verstorbene Frau trauert, während seine zweite Frau ihn drangsaliert, ebenso wie seine Kinder.
Und da ist, immer dabei, obwohl nicht mehr am Leben, der fünfte im Bund, Arik. Alle vier denken immer wieder an ihn, erst nach und nach erklärt sich, was mit ihm geschah und warum die anderen Männer sich schuldig fühlen.
So kristallisiert sich im Laufe des Romans heraus, dass all diese Männer, deren Zusammenhalt im Chor bestand wie auch in den Treffen in der Dorfkneipe, ein schweres Päckchen zu tragen haben. Jeder von ihnen hat schlimmes erlebt, hat viel durchgemacht, leidet an Vergangenheit und Gegenwart, an vielen, mehr als heftigen Schicksalsschlägen. Da gab es in ihren Leben etliche Todesfälle, durch Mord, Selbstmord oder Krankheit, da gab es physische und psychische Gewalt von Eltern an Kindern, von Männern an Frauen und umgekehrt, da gab es Lüge, falsche Entscheidungen, Geheimnisse, Häme, Schweigen, Vorwürfe, Entfremdung, Einsamkeit.
Dabei ist der Roman sehr einfühlsam geschrieben, mit den richtigen Worten, den richtigen Bildern. Besonders gut gelang es der Autorin, sich in die alten Männer hineinzufühlen, ohne in Klischees zu verfallen. Sie beschreibt sowohl die körperlichen wie die seelischen Schmerzen und Narben mit passenden Sätzen, ohne zu übertreiben, ohne zu dick aufzutragen.
Dennoch war mir dieser Roman zu düster, zu überladen an schrecklichen Dingen, die den jeweiligen Männern oder ihren Familien widerfahren waren. Es war schlicht etwas viel, zu viel für vier Männer in einer Gruppe. Es ist alles zu schwer, zu beladen, zu dunkel.
Erst am Ende ergibt sich für alle von ihnen ein Lichtblick, eröffnet sich ihnen durch die Auflösung des Chors eine neue Chance, es ergeben sich plötzlich neue Möglichkeiten. Sie können, trotz ihres hohen Alters, ihrer diversen Gebrechen, auf die eine oder andere Weise ein neues Leben beginnen.
So endet der Roman dann doch wieder positiv, mit Zuversicht und Hoffnung. Dennoch hätte die Geschichte gewonnen, wenn man etwas weniger schwere Schicksale den Männern auf die Schultern gepackt hätte. Deswegen ist, wenn man den Roman im Ganzen betrachtet, er dann doch mehr grau als blau, mehr dunkel als hell.
Gudrun Eiden – Nach uns das Leben
Penguin, Juli 2024
Gebundene Ausgabe, 192 Seiten, 24,00 €