Leider nicht unmögliche Zukunftsvision, erschreckend realistisch
„Wir haben uns daran gewöhnt, dass am Ende alles gut ausgeht“ (Klappentext)
Es ist der 27. März 2028 – Russische Truppen erobern die estnische Kleinstadt Narwa und die Insel Hilumaa in der Ostsee. Der Angriff auf das Baltikum hat begonnen. Das ist die Ausgangslage des Szenarios, welches der Militärexperte Carlo Masala in seinem Buch „Wenn Russland gewinnt“ entwickelt. Ein Szenario, das, wie der Autor schreibt, im Bereich des Möglichen liegt.
Aber es beginnt drei Jahre zuvor. Wir schreiben das Jahr 2025. In Genf kommen Delegationen der „Freien Ukraine“ und der Russischen Föderation zusammen, um den Vertrag über eine Teilkapitulation der Ukraine zu unterzeichnen, genauer, über den Verlust von zwanzig Prozent des Staatsgebiets.
Was bedeutet das für die Ukraine, was für Europa? „Im Westen gibt es nur wenige Stimmen, die in der ukrainischen Niederlage eine schwere Bedrohung für die europäische Sicherheitsordnung sehen. Die allgemeine Stimmung ist eine andere. Manche äußern sich offen, manche hinter vorgehaltener Hand. Aber es ist überall zu spüren, die Erleichterung, dass dieser Krieg nunmehr vorbei ist.“ (S. 17)
Die Politiker in den europäischen Hauptstädten können sich also erleichtert zurücklehnen, umso mehr noch, als Putin überraschend zurücktritt. Sein Nachfolger verbreitet eine Vielzahl von Vorschlägen zur Entspannung zwischen Ost und West. Bricht nun eine neue Zeit an?
Weit gefehlt – es gibt einen Plan: Eine kleine Gruppe hochrangiger Militärs und enger Vertrauter von Putin trifft sich, um über die zukünftige russische Sicherheitsstrategie zu beraten. „Ihre Aufgabe, so formulierte es der (neue) Präsident auf ihrer ersten Sitzung, sei es, nach Wegen und Möglichkeiten zu suchen, die Politik Wladimir Putins weiterzuverfolgen. Zwar könne man es sich nicht leisten, noch einmal drei Jahre oder länger in einer Kriegswirtschaft zu verharren, aber es sei unumgänglich, dass Russland seinen Einfluss in seinem unmittelbaren Vorfeld ausweite, um seinen Anspruch auf Augenhöhe mit den USA, aber auch mit China, zu untermauern.“ (S. 34)
Mit dieser Leitlinie macht sich die Gruppe an die Arbeit und entwickelt eine umsetzbare Strategie. In der Zwischenzeit ruht die europäische Politik, die Aufrüstungsbemühungen rücken in den Hintergrund und die Amerikaner reduzieren ihre Präsenz in Europa. Bis am 27. März 2028 russische Truppen in Narwa einmarschieren.
Wie sollen die Europäer reagieren? Der Artikel 5 der Nato müsste eigentlich greifen, schließlich handelt es sich um einen Angriff auf ein NATO-Mitglied. Bei der Abstimmung über den Antrag des estnischen Premierministers über die Anwendung des Artikels 5 wird keine Einstimmigkeit erzielt und der estnische Premierminister wird gebeten, den Antrag zurückzuziehen. Es gibt also keine militärische Reaktion der NATO. Man setzt auf weitere Gespräche ….
Das Buch beschreibt anschaulich und spannend, wie sich Konflikte entwickeln und wohin die Naivität der Politiker in Bezug auf die langfristigen Ziele Russlands (und Chinas) führt.
Das letzte Kapitel des Buchs heißt „Moskau/Peking, 30. März 2028: Ein neues Zentrum“. „ … Xi fühlt sich auf dem Höhepunkt seiner Macht. Sein Plan und der seiner Vorgänger scheint aufzugehen. Das Ziel ist vor Augen. Die Macht des USA gebrochen und die chinesische Vorherrschaft über die Welt zum Greifen nahe.“(S. 100).
Ein sehr empfehlenswertes Buch, flüssig und sehr gut lesbar geschrieben, wenn auch der Inhalt durchaus verschreckend wirken kann.
Carlo Masala – Wenn Russland gewinnt: Ein Szenario
C.H.Beck März 2025
Klappenbroschur, 116 Seiten, 15,00 €