Wie wichtig sind Beschreibungen in einem Roman für dich? Wie sehr magst du sie? Und, Hand aufs Herz, liest du die Beschreibungen tatsächlich immer Wort für Wort? Ich bin mal ehrlich: ich überfliege sie oft nur, wenn sie mir zu lang, zu detailliert sind.
Tschechows Pistole
Und wie wichtig sind Beschreibungen für den Roman? Ganz bestimmt kennst du Tschechows Pistole? Anton Tschechow sagte, wenn du am Anfang einer Geschichte eine an der Wand hängende Pistole erwähnst, muss diese irgendwann im Laufe der Handlung eine Rolle spielen.
Übertragen auf mein heutiges Thema heißt das: jede Beschreibung einer Person oder eines Settings, die du in deinem Roman bringst, muss irgendeinen Bezug zur Handlung haben. Meines Erachtens kann man das sogar noch ergänzen um das Wort entscheidend, denn ich glaube, nur das, was für die Handlung eine entscheidende Bedeutung hat, sollte auch beschrieben werden. Und das darf dann auch gerne detailliert sein.
Wenn es also für deinen Roman wichtig ist, dass die Protagonistin Augen so groß wie Untertassen hat, dann erwähne es. Ansonsten kannst du Form, Farbe und Größe ihrer Augen gerne der Fantasie deiner Leserinnen überlassen. Ich zumindest möchte mir selbst ausmalen, wie die Figuren in dem Roman, den ich gerade verschlinge, aussehen. Wenn ich mir die Heldin mit langen blonden Haaren vorstelle, empfinde ich es als sehr störend, wenn mir dann auf Seite 237 plötzlich erzählt wird, dass sie kurze graue Locken hat.
Da habe ich ganz nebenbei einen anderen Aspekt angeschnitten. Wenn du deinen Leserinnen deine Heldin beschreiben möchtest, warte damit eben nicht bis zur Seite 237, aus genau diesem Grund. Beim Lesen kann man die eigene Fantasie nun mal nicht abschalten und bekommt im Laufe der Lektüre ein immer genaueres Bild vor Augen, von den Figuren und vom Schauplatz. Wenn sich dieses Bild dann eben erst so spät als „falsch“ herausstellt, hast du deine Leserin verprellt. Die Binsenweisheit, dass deine Heldin auf Seite 237 natürlich immer noch die gleiche Augenfarbe haben sollte wie auf Seite 7, erspare ich dir an der Stelle.
Nur eins, aber das richtig
Im Übrigen plädiere ich ohnehin dafür, die Beschreibung der handelnden Personen auf das nötige Minimum zu beschränken. Dabei lohnt es sich, so finde ich, besondere Merkmale hervorzuheben, statt die Figur vom Scheitel bis zur Sohle zu beschreiben. Wenn deine Heldin für ihr Leben gerne Süßigkeiten nascht, dann kannst du, um das zu unterstreichen, erwähnen, dass sie etwas (oder von mir aus auch sehr) übergewichtig ist. Vielleicht trägt sie gerne weite Kleidung, Pullover, die zwei Nummern zu groß sind oder Jogginghosen? Dann erwähne das, am besten so unauffällig wie möglich in einem Nebensatz oder vielleicht wenn sich eine Besucherin insgeheim darüber mokiert? Du verstehst, was ich meine, nicht wahr? Ich bin keine Freundin langer ausführlicher Beschreibungen von Personen oder Räumen, die mich aus der, hoffentlich spannenden, Handlung herausreißen. Und die, siehe oben, im schlimmsten Fall für diese Handlung bedeutungslos sind.
Die renommierte Autorin Elisabeth George, die das wirklich lesenswerte Buch „Wort für Wort“ über das Kreative Schreiben verfasst hat, ist eine besonders große Freundin solch erschöpfender Beschreibungen – wofür sie natürlich auch in dem erwähnten Buch plädiert. In ihren berühmten Inspektor-Lynley-Romanen treibt sie das ziemlich auf die Spitze. In einem dieser Romane habe ich es einmal überprüft: die Beschreibung eines Zimmers ging über weit mehr als eine Seite. Puh, viel zu viel, zumal das, was dort der Leserin vor Augen geführt wurde, überhaupt keinen Bezug zur Handlung hatte. Elisabeth George hat natürlich völlig Recht, wenn sie sagt, wir Autoren müssen den Ort des Geschehens, die Umgebung, die Räume und natürlich auch unsere Figuren so gut kennen, dass wir sie im Schlaf vor uns sehen. Aber ich stimme ihr nicht zu, dass all dies unbedingt in unserem Text erscheinen muss. Ich glaube an die Fantasie der Leserinnen und an meine eigene.
In einem meiner letzten Schreibblogs habe ich von einem Buch von Jojo Moyes erzählt, in welchem sie mit einem einzigen Blick in den Fußraum des Autos der Protagonistin diese Frau so präzise beschreibt, dass man sofort eine Vorstellung von ihr und ihrem Charakter hat. Genauso sollten wir versuchen, mit den Beschreibungen in unseren Geschichten umzugehen.
Übrigens bringt mich das auf einen anderen Gedanken: bei solchen Beschreibungen sollten wir unbedingt darauf achten, Klischees zu vermeiden. Ich denke da zum Beispiel an das Zimmer eines pubertierenden Teenagers. Jeder erwartet ein Chaos, stinkende Socken auf dem Tisch, faulende Essensreste hinter dem Bett usw. Überrasche deine Leser und zeige ein soldatisch ordentliches, aufgeräumtes und sauberes Zimmer. Wenn darin dann in einer Ecke, hinter der Kommode, ein Berg schmutziger Wäsche lauert, umso besser, die Überraschung ist dir gelungen.
Figur und Setting
Ich denke, dass es ein Unterschied ist, ob wir über die Beschreibungen unserer Figuren reden, über Landschaftsbeschreibungen oder solche von den Räumen, in denen unsere Handlung spielt, oder von Städten und von den Wegen, die unsere Protagonisten entlanglaufen. Also ob wir Menschen oder Settings beschreiben.
Beides ist meines Erachtens nämlich unterschiedlich zu bewerten. Und ich gehe noch einen Schritt weiter – der aber nicht überraschend sein dürfte: natürlich müssen wir erfundene Landschaften, Welten, die wir erschaffen, die müssen wir detailliert beschreiben, zumal wenn sie stark von der uns bekannten Welt abweichen. Auf das sogenannte Worldbuilding möchte ich hier aber nicht eingehen, denn das ist – kleines Wortspiel – nicht meine Welt. Meine Geschichten tragen sich in der Welt zu, die ich kenne und in der ich lebe.
Das soll aber jetzt nicht heißen, dass ich das tue, was man Anfängern immer rät: schreibe über das, was du kennst. Heutzutage braucht man nicht in San Francisco gewesen zu sein, um die Handlung dort spielen zu lassen (auch wenn das sicher ungemein hilfreich sein kann – und, ganz nebenbei, eine herrliche Ausrede für eine Reise dorthin liefern würde …). Schließlich gibt es Google Earth und ähnliches, nicht wahr.
Vor-Bilder
Die Beschreibung von Figuren, wie nötig ist sie und wie weit muss sie gehen? Das ist die erste Frage, und wenn wir diverse Ratgeber über das kreative Schreiben studieren, entdecken wir in den meisten solche Fragebögen, in die wir alles, was wir über unseren Charakter wissen, eintragen sollen. Darin bezieht sich ein großer Teil der Fragen auf das Äußere: Größe, Figur, Haarfarbe, Augenfarbe usw.
Andere raten dazu, sich im Internet Fotos zu suchen, die der Person, die wir erfinden, ähnlich sieht. Nun, ich habe das einmal ausprobiert. Ich habe mir für ein ganzes Personaltableau die passenden Fotos im Internet zusammengesucht. Meistens waren es recht bekannte Schauspielergesichter, die ich am Ende an meiner Pinwand hängen hatte. Aber sie sahen aus wie meine Figuren in meiner Fantasie aussehen könnten. So, da hingen sie dann. Und hingen. Und ich? Ich kam nicht weiter. Mir waren meine Figuren auf einmal ganz fremd. Plötzlich hatten sie nicht mehr die Eigenschaften, nicht mehr die Persönlichkeit, die ich für sie erdacht hatte. Sie waren plötzlich dieser Schauspieler oder vielmehr eine seiner Rollen, die er gespielt hatte.
Das war vermutlich der Fehler, den ich begangen hatte. Mit völlig unbekannten Gesichtern hätte ich, nehme ich an, diese Probleme vielleicht nicht gehabt. Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass diese Methode für mich nicht funktioniert.
Genauso wie es für mich, wie oben schon erzählt, nicht funktioniert, wenn ich in einem Roman detailliert lese, wie die Protagonistin aussieht. Gerade habe ich wieder so einen Roman gelesen, wo man im letzten Drittel erfuhr, dass die Heldin lange glatte Haare hatte. Soll ich ehrlich sein? Ich hatte mir bis zu diesem Zeitpunkt noch gar keine Gedanken darüber gemacht, wie sie aussah. Ich hatte und brauchte kein Bild von ihr – was allerdings vielleicht daran lag, dass diese Geschichte wirklich sehr austauschbar war und auch die Protagonistin war austauschbar, weil schon hundertmal in ähnlichen Romanen vorgekommen. Und weil die Autorin der Protagonistin keinen „Inhalt“ gegeben hatte, keinen Hintergrund, keine persönliche Geschichte. Ihre Figurengestaltung beschränkte sich auf die Handlung und nicht mehr. Diese Dinge, diese sozusagen innere Beschreibung einer Figur ist für mich jedoch um Längen wichtiger als ihr Äußeres.
Du verstehst schon, worauf ich hinaus will. Im Grunde ist es wie stets: schreibe so wie du selbst gerne lesen möchtest. Ich mag keine fotografische Beschreibung der Figuren lesen und ich mag sie nicht schreiben. Für mich ist ein Mensch auch viel mehr als sein Äußeres, ein paar kleine, möglichst für die Handlung bedeutsame Hinweise, mehr braucht es nicht.
Ich gebe dir ein Beispiel aus einer meiner Kurzgeschichten. Darin saßen drei Männer in einer Kneipe um einen Tisch. Ich grübelte eine Weile, wie ich das Gespräch zwischen ihnen schreiben könnte, ohne ihnen Namen geben zu müssen, denn die taten nichts zur Sache und deswegen erfuhr man sie nicht. Schließlich gab ich jedem eine Eigenschaft, über die man sie im Laufe des Dialogs identifizieren konnte: der eine trug eine Strickjacke, der zweite hatte eine Glatze und der dritte war unglaublich dick. Fertig. Mehr brauchte es nicht. Das hat funktioniert.
Von A nach B
Und genauso sehe ich es auch für die Umgebung der Handlung. Einmal las ich einen Roman, der im Bergischen Land spielte. Der Kommissar, es war ein Krimi, fuhr ständig auf der Autobahn A irgendwas über das Kreuz soundso, bei der und der Abfahrt runter, dann die Weiß-nicht-mehr-Straße lang, bog auf den Irgendwie-Platz ein und so weiter und so fort. Bestimmt für Leute, die in der Gegend rund um Wuppertal zu Hause sind, ganz toll und wer jeden Tag diese Strecke fährt, hat vielleicht Spaß daran, mit dem Kommissar auch noch dort langzufahren. Aber mich hat das furchtbar gestört. Es hatte für die Handlung keinerlei Belang und bremste die Spannung dermaßen aus, dass man darüber sogar manches Mal komplett den Faden verlor. Das war in meinen Augen definitiv zu viel des Guten, zu viel der Beschreibung. Übrigens, der Witz dabei ist, dass besagter Autor selbst Dozent für Kreatives Schreiben ist… In seinem neuesten Roman war es leider auch nicht viel anders. Dabei ist mir schon klar, dass es Leser gibt, die das mögen, besonders solche, die in der Stadt der Handlung wohnen. Aber schreiben wir nur für diese? Doch nur, wenn wir explizit einen lokalen Roman schreiben. Hier passt das dann selbstverständlich rein und dann erwarten die Leserinnen das ja auch.
Also auch bei Beschreibung der Settings, egal ob Landschaft, Stadtansichten, Innenräume oder ob es um den Weg geht, den jemand nehmen muss, um von A nach B zu kommen: bitte nur das, was nötig ist. Auch bei der Beschreibung von Zimmern, immer nur so viel wie nötig ist, um einen Eindruck vom Charakter des Bewohners zu bekommen. Die Zeit, in der Literatur sich in seitenlangen Beschreibungen erging, liegt hinter uns.
Ich will dir ein letztes Beispiel geben. Ganz bestimmt kennst du den Dauerbrenner „Dinner for One“, mit dem wir jedes Jahr an Silvester erfreut werden.
Und vermutlich hast du diesen Film auch schon gefühlte siebenhundertmal gesehen. Und nun frage ich dich: an was von dem Bühnenbild erinnerst du dich? Nicht schummeln und heimlich googeln! Klar, da ist der Tisch mit den leeren Stühlen drum herum, da ist die Anrichte, von der der Butler immer die Getränke holt und da ist das wichtigste Requisit: das Tierfell am Boden. So, und nun sage mir: ist es ein Eisbär, ein Tiger oder vielleicht doch ein ganz anderes Tier? Und im Hintergrund, was ist da noch? Schränke, Bücherwand oder nur Tapete? Du merkst natürlich, worauf ich hinauswill. Wir nehmen sehr viel wahr in der Beobachtung, aber hinterher zählt nur das Wichtigste. Und hier ist das eben der große Tierkopf, über den der Butler immer wieder stolpert. Alles drumherum ist Staffage, es schafft Atmosphäre, aber es hat für die Handlung keinen Belang.
Aber es ist schon klar, oder? Wenn deine Geschichte in der ausgetrockneten Steppe spielt und dein Held kurz vor dem Verdursten ist, dann ist es unbedingt erforderlich, dass du die Umgebung schilderst, und zwar so drastisch und so dramatisch wie möglich. Und wenn dein Protagonist ein lahmes Bein hat, schielt und Blumenkohlohren sein Eigen nennt, dann musst du das erwähnen, denn du hast dir schließlich, hoffe ich jedenfalls, etwas dabei gedacht, als du ihn so zugerichtet hast.
So wie du es magst
Fassen wir zusammen: Beschreibungen ja, so viel wie nötig und so viel, wie du selbst gerne in Romanen findest. Einen anderen Maßstab als deinen eigenen Geschmack und deine eigenen Vorlieben hast du auch erstmal nicht, solange, bis deine Geschichte vor einem Lektor liegt. Und dann wirst du schon erfahren, ob es zu viel oder sogar vielleicht zu wenig war.
Hallöchen, habe gerade noch einmal diesen deinen Text vom Oktober mit viel Interesse gelesen. Wenn doch alles so einfach wäre, wie es sich bei deinen Ausführungen anfühlt.!!!
Aber es hilft, sich solche Tipps oder Meinungen immer mal wieder anzuschauen. (Ich hoffe, es hilft)
LG Anneliese