Wer erwachsene Kinder hat, kennt das Gefühl des Loslassen-Müssens. Wenn man als Mutter doch eigentlich denkt, sie sind noch nicht so weit, auf eigenen Füßen allein in die Welt hinauszugehen.
Und genauso fühlt es sich für mich jedes Mal an, wenn ich eine Geschichte „in die Welt hinaus“ lasse. Immer denke ich, sie ist noch nicht so weit, denn es gibt bestimmt immer noch irgendwo eine Stelle, die nicht perfekt ist, einen Tippfehler, einen langweiligen Dialog oder ein überflüssiges Adjektiv. Mit anderen Worte: sie muss nochmal und nochmal überarbeitet werden.
Es gibt so viele verschiedene Aspekte, unter denen ein Text überarbeitet werden muss. Und jede Autorin hat dafür einen anderen Ansatz, geht in einer anderen Reihenfolge vor, verwendet unterschiedliche Methoden.
Punkt für Punkt
Aber was genau müssen wir denn bei unserer Geschichte überarbeiten? Das Offensichtlichste sind natürlich die orthographischen und grammatikalischen Fehler, die wir ausmerzen müssen. Dafür gibt es viele Programme, gute, bessere und weniger geeignet. Keines davon bewahrt uns aber davor, auch selbst nochmal Wort für Satz und Komma für Punkt zu prüfen. Sich auf diese Rechtschreibprogramme zu verlassen wäre in meinen Augen riskant, denn auch sie sind nicht allwissend und können nicht ahnen, was wir meinen. Besonders im Hinblick auf Grammatik machen sie oft Korrekturvorschläge, die nicht passen. Deswegen hinterfrage ich diese Vorschläge immer sorgfältig und wenn ich mir nicht sicher bin, frage ich Duden. Damit will ich auch sagen, dass es nicht notwendig ist oder besser gesagt, absolut vermeidbar ist, dass man Texte auf die Welt loslässt, in denen es von Fehlern wimmelt. Dass jeder und jede mal Fehler, egal ob Druckfehler oder andere, übersehen kann, ist klar und muss sicher nicht betont werden. Das ist menschlich und dafür muss man sich auch nicht großartig entschuldigen. Aber wenn ein Autor einen Text veröffentlicht, den er offensichtlich nicht Korrektur gelesen hat (oder hat lesen lassen, falls er vielleicht kein Muttersprachler ist), dann finde ich das respekt- und rücksichtslos. Und zwar respektlos dem eigenen Text gegenüber. Ist der denn dem Autor so wenig wert, so wenig Mühe und Arbeit wert? Und sind ihm die Leserinnen seines Textes diese Mühe auch nicht wert?
Das gleiche gilt für die Formatierung. Die zwar für mich nicht das Zweite auf der Liste ist, das ich beim Überarbeiten prüfe, sondern eher das letzte, nachdem alle Änderungen vollzogen und gespeichert sind. Aber es passt in den Zusammenhang mit der Rechtschreibung, denn auch hier schludern so unglaublich viele Autoren. Es gibt doch Regeln, die auch noch ziemlich einfach sind, die kann doch jeder nachlesen und dann beachten. Ich weiß, dass es viele Autoren gibt, die sich gegen jede Art von Regeln wehren, weil sie meinen, das lähmt die Kreativität. Ich gestehe ihnen ihre Meinung natürlich zu, sehe das aber anders. Gerade solche Regeln, die ich mir leicht merken kann und die einfach umzusetzen sind, machen es leichter, der Kreativität Raum zu geben. Denn ich muss mich dann nicht beim Schreiben mit der Frage ablenken, wie und wann die Anführungszeichen kommen, ob ein Absatz vor der wörtlichen Rede erfolgen sollte oder nicht und so weiter. Übrigens zwingt mich ja auch keine dieser Regeln, sie direkt gleich beim Schreiben anzuwenden, falls mich das in meiner Kreativität behindert. Dafür ist beim Überarbeiten ja noch ausreichend Zeit. Nur dann spätestens sollte ich genau diese Regeln auch umsetzen. Aus Respekt vor meinem Text und aus Rücksicht auf dessen Leserinnen, die dann daran nämlich viel mehr Freude haben werden. Für diejenigen, die gerne solche Regeln kennen, hier der Link zu einer unglaublich hilfreichen Seite: https://www.die-schreibtrainerin.de/manuskript-formatieren. Anette Huesmann ist eine Schreibtrainerin, die auch selbst gute Romane schreibt.
Diese formalen Korrekturen nehmen leider unsäglich viel Zeit in Anspruch und Spaß machen sie auch nicht. Trotzdem kommt man als Autorin nicht drum herum, es tut mir leid. Es ist ein bisschen wie Wäschewaschen. Es macht keinen Spaß, aber hinterher das saubere Hemd anzuziehen ist doch erfreulicher als mit einem muffigen, verkleckerten Outfit vor die Tür zu gehen, oder?
Wieder und wieder
So, aber wenn wir diesen unerfreulichen Teil der Überarbeitung erledigt haben, sind wir ja noch lange nicht fertig. Beziehungsweise, dieser Teil kommt ja, jedenfalls bei mir, eigentlich erst als letzte Stufe, denn vorher kommt das inhaltliche und stilistische Korrigieren, Feilen und Polieren.
Auch hierfür gibt es Hilfe, die ich dir gerne empfehle: Der Autor Andreas Eschbach, dessen faszinierende und spannende Bücher ich liebe, gibt auch wunderbare Schreibtipps. Und wenn die von jemandem kommen, der so tolle Romane schreibt, müssen sie doch hilfreich sein.
Er gibt wirklich praktische Anregungen, wie du bei der Überarbeitung deines Textes vorgehst, wie du zum Beispiel die verbesserungswürdigen Formulierungen markierst, damit du sie beim Korrigieren erkennst. Bevor du aber ans Korrigieren gehen kannst, musst du erstmal diese hakelnden Stellen ausfindig machen. Und die können überall drinstecken, in deinen Beschreibungen, in Dialogen, es kann sich um Logikfehler handeln oder du hast irgendwo einen ungewollten Perspektivwechsel drin, du verwendest zu viele und/oder unpassende Adjektive und Adverbien oder, Schreck lass nach, ein Absatz ist einfach nur grottenlangweilig. Auf all diese Aspekte musst du deine Geschichte prüfen, sie wieder und wieder lesen, mal von vorne und auch mal von hinten nach vorne (das ist übrigens besonders hilfreich bei der Suche nach Schreibfehlern). Dabei, aber das ist eine altbekannte Weisheit, hilft es, Abstand zu deinem Text zu finden. Soll heißen, lass ihn ruhen, lass ihn gehen wie einen Hefeteig oder reifen wie einen guten Wein. Und dann nimm ihn dir ein weiteres und noch ein weiteres Mal vor. Am Ende hast du ihn so oft gelesen, dass du ganze Passagen daraus auswendig hersagen kannst, selbst wenn man dich um 3 Uhr nachts aus dem Schlaf reißen würde. Das ist dann ungefähr der Zeitpunkt – nicht 3 Uhr nachts natürlich, sondern wenn du diese Phase erreicht hast – dass du zum ersten Mal über das Loslassen nachdenken könntest. Aber hier meine ich nicht das „in die Welt hinauslassen“, sondern dass du die jetzt vorliegende Fassung deinen Testlesern geben kannst. Jetzt bist du an dem Punkt, wo du ihre Hilfe brauchst. Weil du nämlich jetzt selbst keine Fehler mehr sehen kannst. Das ist einfach so, das ist normal, denn du hast den Text geschrieben.
Und wie das mit den Testlesern so ablaufen könnte, das hast du ja in meinem letzten Schreib-Log gelesen. Während du dann deren Korrekturvorschläge, jedenfalls die, die du annehmen möchtest, in deinen Text einarbeitest, wirst du vermutlich auch selbst noch weitere Stellen erkennen, die ein Nachjustieren, ein klein wenig Politur noch vertragen könnten.
Dann ist er da
Aber irgendwann kommt er dann doch, der Tag, der Moment, wo du die Tür aufmachen und deine Geschichte, deinen Roman in die Welt oder von mir aus auch auf die Welt loslassen kannst. Auch wenn du dann immer noch glaubst, es ist eigentlich doch noch viel zu früh …