Bestimmt kennst du die Behauptung, Frauen seien im Gegensatz zu Männern multi-tasking-fähig. (Kleine Randbemerkung: auf der Suche nach Bildern zu dem Thema bekommt man fast ausschließlich Fotos von Frauen gezeigt…).
Gehen wir dennoch mal (vorübergehend 😉) davon aus, dass beide Geschlechter diese Fähigkeit besitzen. Das unterstellt, gilt auch meine heutige Frage beiden, Autorinnen und Autoren: Schreibst du an mehreren Projekten parallel oder arbeitest du eines nach dem anderen ab?
Sicher sieht die Antwort bei solchen, die „nur“ Kurzgeschichten schreiben, anders aus als bei Romanschreibenden. Mal davon abgesehen, dass ich – wie du sicher auch – immer mehrere Ideen parallel im Kopf bebrüte, hilft mir das gleichzeitige Arbeiten an mehreren Texten, Blockaden zu überwinden. Klar, warum, oder?
Wenn es bei der einen Kurzgeschichte hakt und klemmt, lege ich sie eine Weile beiseite und arbeite an der anderen weiter. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich die Texte durchaus gegenseitig befruchten. Entweder weil die Formulierung bei Geschichte A mir plötzlich auch die passende Vorlage für Text B liefert, die ich die ganze Zeit gesucht habe. Oder weil die Idee, die ich in B verarbeiten wollte, auf einmal besser in Erzählung C passt.
Logisch, dass man dann aber schon die nötige Konzentration braucht. Sonst liegt auf einmal die Leiche aus der Krimi-Erzählung in der Liebesgeschichte am Boden. Das ist natürlich überspitzt, aber man muss schon ein bisschen aufpassen. Aber ich empfinde es wirklich so, dass es mir hilft, mehrere Geschichten gleichzeitig zu schreiben. Der Druck auf der einen ist geringer, die Freude beim Schreiben hingegen größer. Denn, wie schon gesagt, wenn es bei dem einen Text gut läuft, die Geschichte flott Gestalt annimmt, das motiviert mich ganz stark für die zweite, an der ich gerade schreibe.
Und noch ein weiterer Aspekt, der aber nur dann zutrifft, wenn man in unterschiedlichen Genres schreibt: wenn die eine Geschichte, an der ich arbeite, traurig oder düster ist, und die andere eher munter oder humorvoll, dann ergänzt sich das perfekt, es gleicht sich aus und verhindert, dass mich die dunkle Geschichte zu sehr hinunterzieht. Jedenfalls gilt das für mich.
Nur gegen Ende, wenn der Abgabetermin näher rückt und der letzte und der allerletzte Feinschliff getätigt werden muss, dann konzentriere ich mich doch mehr auf die, die fertig werden muss.
So viel zum gleichzeitigen Schreiben an mehreren Kurzgeschichten. Aber geht das auch beim Schreiben von Romanen?
Na ja, vermutlich muss es sogar gehen, denn während du den einen Roman schreibst, hast du ja schon den nächsten im Kopf. Und nach dem Schreiben soll das Manuskript erstmal ruhen, du kannst also spätestens dann anfangen, an Roman 2 zu schreiben. Ich könnte mir vorstellen, dass es bei Serien ohnehin so ist, dass du in Gedanken bereits den Folgeband schreibst, während das aktuelle Buch überarbeitet wird oder gerade bei den Testlesern ist.
Und wie ist das bei dir? Rotieren in deinem Kopf die Ideen zu vier Geschichten und drei Romanen? Und an wie vielen schreibst du gleichzeitig? Oder geht das für dich gar nicht und du musst in der Tat erst ein Projekt komplett abschließen, bevor du mit dem nächsten beginnst?
Liebe Rena,
schmunzeln muss ich über Deinen Gedanken, von Multitasking zu „Multi-Writing“ überzuleiten. Dabei hast Du zumindest meine Angewohnheit klar erkannt. Ich denke jedoch, kaum jemand, der ernsthaft schreibt, beißt sich ausschließlich an einer Idee fest, egal, in welchem Stadium die sich befindet – Idee, Pitch, Plot, Manuskript oder Überarbeitung. Im von Dir beschriebenen Sinne bin ich auch als Mann multitaskingfähig. Nicht nur beim Schreiben, denn ich kann mich auch unterhalten und gleichzeitig weitergehen 😉 Was Du als allgemeingültig suggerierst, dem unterwerfe auch ich mich: Regelmäßig arbeite ich an mehrere Schreibprojekten gleichzeitig. Nur wenn eines „auf der Zielgeraden“ ist, erhält es meine volle Aufmerksamkeit.
Eine Anekdote wert scheint mir vor dem Hintergrund der „gegenseitigen Befruchtung“ die Entstehung meines Debütkrimis: Die Idee für einen – nie geschriebenen – Krimi mit einem ungewöhnlichen Detektiv kam mir 2019 während eines Strandspaziergangs. Beim Sonntagsfrühstück im Juli 2021 erzählte mir mein Sohn von einem Aufsehen erregenden Betrugsfall in den USA der Neunzigerjahre. Beides zusammen ergab den Pitch für einen Krimi. Doch während ich den Plot ausarbeitete, rückte ein neuer Fall für meinen Protagonisten das begonnene Projekt spontan in den Hintergrund, nun wird es irgendwann einmal realisiert. Und Kurzgeschichten – die poppen immer wieder mal dazwischen hoch.
„Eingleisig“ zu schreiben, kann ich mir nur vorstellen, wenn die Recherche den schreibenden Geist zu 100 % beansprucht, und auch dann schieben sich weitere Ideen unweigerlich dazwischen – und sei es auch nur, um als Stichwort auf einem Zettel geparkt zu werden.
Fazit: Würdest Du jeweils nur an einem Werk arbeiten, wärest Du nach meiner Erfahrung eine Ausnahme mit wirklichem Seltenheitswert.
Viele Grüße und Dank für diesen Blog
Michael Kothe