Eine Werbung für ein Workshop, die ich dieser Tage las, brachte mich auf das heutige Thema: Magst du Romane, die in Ich-Form erzählt werden? Oder liest du lieber in der dritten Person geschriebene Bücher?
Diese Frage ist sowohl aus Sicht einer Lesenden wie auch für Schreibende von großer Wichtigkeit. Und die Meinungen gehen dabei ganz weit auseinander, für die einen wie die anderen.
Viele glauben, wenn man in der ersten Person schreibt, ist auch die Leserin sehr viel näher am Protagonisten, nicht nur die Autorin. Beim Lesen ist man ja sozusagen ganz drin im Helden der Geschichte, fühlt mit, was er fühlt, sieht, was er sieht und so weiter. Doch dabei ist es ganz besonders wichtig, die richtige Erzählstimme zu finden. Wenn die Leserin während der Lektüre immer nur ihre eigene Stimme „im Ohr“ hat, dann wird es für sie schwerer, sich mit der Hauptfigur zu identifizieren. Das aber genau ist doch die Absicht.
Wenn wir einen Roman in Ich-Form schreiben, wollen wir doch erreichen, dass unsere Leser in die Hauptfigur eintauchen, dass sie fast die Hauptfigur werden. Erst dann entwickeln sie die volle Empathie, leiden mit ihr, wenn sie leidet und erfahren das gleiche Glück wie sie. Und wer das empfunden hat, während er den Roman las, der wird das Buch mit einer leisen Wehmut schließen und immer mit großer Freude auf diesen Roman zurückblicken – und ihn hoffentlich anderen weiterempfehlen.
Die Kehrseite ist aber, dass die Ich-Figur einen Tunnelblick hat. Sie weiß nur, was sie selbst erlebt, was ihr erzählt wird. Sicher ist es möglich, durch Rückblicke die Leser über Ereignisse aus der Vergangenheit zu informieren, doch sollte dieses Mittel nicht überstrapaziert werden. Ein anderer Trick wird heutzutage sehr oft (für mich zu oft) angewendet: die mehrperspektivische Erzählweise. Hier wechselt die Erzählerin, manchmal gar von Ich-Form in die dritte Person, und so kann die Leserin auch Dinge erfahren, die die Hauptfigur, die uns ihre Geschichte als Ich erzählt, nicht weiß oder kennen kann. Allerdings finde ich, dass auch eine Sie-Figur, sofern sie fehlerfrei gestaltet ist und die personale Erzählform gewählt wurde, nur das erzählen kann, was sie weiß. Ansonsten landen wir schnell beim auktorialen Erzählen.
Ein weiteres Problem ist, wenn die Protagonistin so ganz anders ist als die Leserin. Wird dann in Ich-Form erzählt, wird die Identifikation zwar einerseits einfacher gemacht, andererseits kann dieser Kontrast zwischen Figur und eigenem Ich zu Unwohlsein bei der Lektüre führen. Und das will keine Autorin.
Ich frage mich allerdings, ist denn eine Figur, deren Geschichte ich in der dritten Person lese, tatsächlich so viel weiter weg von mir als Leserin? Liegt diese Distanz, wenn sie existiert, tatsächlich vorrangig an diesem Stilmittel? Oder finde ich aus anderen Gründen keinen Zugang zu diesem Charakter? Übrigens habe ich gerade ein Buch gelesen, in welchem die Hauptfigur in Ich-Form erzählt, während die etlichen anderen Perspektiven in der dritten Person geschrieben sind. Und ehrlich gesagt bekam ich zu keiner der Figuren einen Draht, da half auch die Ich-Form nichts.
Meines Erachtens gibt es, wie so oft beim kreativen Schreiben, auch hier keine festen, starren Regeln. Es liegt an dir und deiner Art zu schreiben, ob deine Leserinnen sich wohl fühlen mit dem, was du erzählst und wie du es erzählst. Wenn deine Figuren rundherum ausgearbeitet sind, wenn du sie besser kennst als dich selbst, dann erreichen sie auch deine Leserinnen. Davon bin ich wirklich überzeugt.
Noch ein letzter Punkt: ich denke nicht, dass es etwas mit dem Genre zu tun hat. Es ist unabhängig davon, ob du einen Krimi, eine Komödie oder einen dramatischen Liebesroman schreibst, welche Erzählform du wählst. Mal funktioniert die eine, mal die andere. Ja sogar, wenn der Mörder in Ich-Form von seiner Tat erzählt und du erst drauf kommst, wenn du den letzten Satz gelesen hast. Habe ich selbst einmal, vor vielen Jahren, erlebt. Dieser Roman ist, wie du merkst, mir wahrlich in Erinnerung geblieben. Offensichtlich verstand der Autor sein Handwerk.