Was machen deine Figuren, wenn sie nicht gerade im Mittelpunkt deiner Handlung stehen? Ihr Leben läuft nämlich trotzdem weiter, auch wenn du davon gerade nicht erzählst.
Du solltest also auch immer die Hintergrundgeschehnisse im Blick behalten.
Ein Beispiel: im Krimi siehst du meist den ermittelnden Kommissar. Doch parallel arbeitet die berühmte „Spusi“, die KTU, der Täter agiert und tut irgendetwas, er sitzt sicher nicht untätig zu Hause und wartet auf die Polizei. Das beschreibst du nicht, aber es passiert.
Und auch im Liebesroman, während deine Heldin von einem Fettnäpfchen in den nächsten Schlamassel hüpft, geht ihr Love-Interest doch auch weiter seiner Wege. Was tut er in dieser Zeit? Darüber musst du dir Gedanken machen, auch und gerade, wenn das alles gar nicht in deiner Story erzählt wird. Denn seine Handlungen wirken, auf ihn und auf deine Heldin. Vielleicht hat er Stress in seinem Job oder er besucht ein Fußballspiel seines Lieblingsvereins, der dann verliert, so dass er ganz schlechte Laune hat, wenn sie sich wieder treffen. Überlege dir diese Dinge, behalte sie im Kopf und im Auge. Jede deiner Figuren lebt weiter, auch in den Momenten, die in deinem Roman nicht beschrieben werden.
Diese Handlungen und Erlebnisse, die im Hintergrund vor sich gehen, wirken auch auf die innere Entwicklung deiner Figur.
Was treibt er da?
Noch ein Beispiel: Drei ganz unterschiedliche Politiker wollen Vorsitzender ihrer Partei werden. Das ist dein Plot in aller Kürze. Du hast dir für alle drei ein Charakterbild geschaffen, du weißt, wie sie ticken und wie sie agieren.
Während Kandidat L. den 73. Talkshowauftritt in halb so vielen Tagen absolviert, sitzen die beiden anderen ja nicht untätig herum. Du denkst dir also aus, was sie tun in der erzählten Zeit, die seit ihrem jeweils letzten Auftritt in deiner Geschichte vergeht. Du behältst sie sozusagen im Auge. Daher weißt du vielleicht, dass Kandidat R. zu Hause Streit mit seiner Frau hat, weil sie eigentlich nicht will, dass er ein solches Amt übernimmt. Er soll sich lieber mehr um den Familienhund kümmern. Dieser Streit, von dem in deiner Geschichte nichts vorkommt, wirkt in ihm aber nach und so kämpft er nur noch mit halber Kraft. In derselben Zeit recherchiert Kandidat M. über die anderen beiden, er sucht nach Dingen, mit denen er sie diskreditieren kann. Bei seinem nächsten Erscheinen auf deiner Bühne spielt er diese Karten dann aus.
Das also tun diese beiden Figuren, wenn du gerade nicht von ihnen erzählst. Anders formuliert: auch sie entwickeln sich immer weiter im Verlaufe deines Romans. Eben nur im Hintergrund.
Du solltest also auch solche Handlungsstränge zumindest grob für dich skizzieren. Wobei hier der Begriff Handlungsstrang vielleicht nicht ganz zutreffend ist, denn dieser Strang gehört ja offiziell nicht zu deiner Handlung. Es sind tatsächlich die Geschehnisse, die parallel ablaufen, die aber nicht Teil deines Plots sind, ohne die aber dein Plot auch nicht wirklich funktioniert. Es sind sozusagen die Dinge, die im Off geschehen.
Vergiss daher nie, deine Figur zu fragen: Was tust du, wenn ich dich ein wenig aus den Augen lasse?
Denn wisse, was sie tun
Ich komme nochmal auf das Beispiel der drei Politiker zurück. Kandidat M., der irgendwelche Flecken auf den Westen der anderen beiden gefunden hat, erzählt also davon einer Journalistin, sagen wir vom Spiegel.
Auf ihre entsprechende Frage, woher er seine Informationen hat, wird er natürlich nicht antworten. Du aber weißt es, denn du weißt, was er getan hat, wen er getroffen und was er für diese wertvollen Enthüllungen gezahlt hat. Und mit diesem Wissen kannst du sein Verhalten in diesem Interview viel besser in Worte fassen und so bildhaft beschreiben, dass deine Leser die Situation lebhaft vor Augen haben. Stell dir vor, du als Autorin wüsstest auch nicht, wie M. an seine Informationen gekommen ist. Es fiele dir sehr viel schwerer, sein Gespräch mit der Journalistin zu beschreiben, so dass es glaubhaft wirkt, und das wiederum spüren deine Leser sofort.
Sehr beliebt sind heutzutage auch Thriller oder Kriminalromane mit unprofessionellen Ermittler:innen, beispielsweise Journalisten oder Anwältinnen, oder auch gerne genommen die unschuldig Verdächtige, die sich selbst auf Täterjagd begibt. Wir wissen doch, dass die offiziellen Beamten derweil nicht im Büro Tetris spielen. Nein, sie forschen auch selbst weiter, zumindest in deinem Roman, denn auch dem Hauptkommissar sind natürlich inzwischen Zweifel gekommen. Sie hat ein Motiv, ihr Alibi ist mehr als schwach, aber die vermeintliche Täterin ist ihm nun mal sympathisch. Also recherchiert er und bei jeder Begegnung mit deiner Protagonistin werden sie über die Fortschritte ihrer jeweiligen Ermittlungen reden. Wenn du dann nicht weißt, wie er zu seinen Resultaten gekommen ist, kannst du sie nicht realistisch darstellen. Ebenso beim furiosen Finale deines Thrillers, wenn unser Kommissar in letzter Minute die Heldin aus den Fängen des tatsächlichen Serienmörders rettet. Der hat sie natürlich in der Zeit, in der Kommissar Retter nach ihr suchte, furchtbar gequält, vielleicht gefoltert, verletzt.
Das erzählst du nicht, aber du weißt, dass es geschehen ist. Und jetzt, das Happy End naht, Kommissar Retter dringt zu ihr vor, sieht das Blut, ihre Verletzungen. Die du nur deswegen so erschreckend realistisch beschreiben kannst, weil du dabei warst, als der Täter sie ihr zufügte. Du warst dabei, aber deine Leser nicht.
Bis zum nächsten Auftritt
Dieses Thema betrifft natürlich vor allem deine Nebenfiguren, denn die Protagonisten hast du ja immer im Vordergrund gut im Blick. Aber die Neben- und Randfiguren, die keine Handlungsträger sind, aber doch mehr als bloße Statisten, sie agieren hinter dem Vorhang, sie entwickeln sich und wenn sie dann in deinem Plot wieder vorne mitspielen, muss man ihnen diese Entwicklung anmerken. Dann hast du authentische Figuren erschaffen.
Behalte den Hintergrund im Auge. Während du an deinem Plot arbeitest, wenn du deinen Szenenplan machst, führe auch immer den Hintergrundstrang weiter. Dann wird es dir leichter fallen, die Handlung im Vordergrund packend, logisch und realistisch zu beschreiben.