Kritik ist ja bekanntlich so eine Sache. Sie kann sehr weh tun, sie kann alles noch schlimmer machen, ja, sie kann Beziehungen und Freundschaften zerstören. Aber Kritik kann auch helfen, weiterbringen, konstruktiv sein. Worauf es ankommt, ist dabei nicht nur der Inhalt der Botschaft, sondern wie sie überbracht wird. Also ist die entscheidende Frage: wie sag ich’s ihm.
Dieses Problem dürften professionelle Lektoren zur Genüge kennen. Ich kann mir einigermaßen ausmalen, wie ein erfolgreicher Autor reagieren mag, wenn eine junge Lektorin (sorry für das Klischee) es wagt, an seinem Lieblingssatz im neuesten Werk herumzumäkeln. Und was ist unsere Reaktion, wenn die Freundin oder der Ehepartner tatsächlich mal ehrlich über unser letztes, unter Schweiß und Tränen entstandenes Elaborat urteilen? Aber sollen sie dann lieber schweigen, um der Liebe und des Friedens willen? Das wollen wir doch auch nicht. Eben.
Kritik zulassen
Also müssen wir Autor*innen uns öffnen für Kritik, ja eigentlich müssen wir sie uns herbeiwünschen. Denn in einem sind wir uns doch alle einig, oder? Nur wenn wir Feedback bekommen zu unseren Texten und nur, wenn dieses Feedback der Testleser absolut ehrlich ist, bringt es uns weiter. Tut mir echt leid, dass ich hier Binsenweisheiten von mir gebe, aber manchmal muss man glasklare Dinge einfach nochmal blank putzen, soll heißen, ganz deutlich aussprechen. Ich erlebe es immer wieder, dass Kritik nicht angenommen oder auch mal sehr persönlich genommen wird, dass Autor*innen ausgesprochen beratungsresistent sind. Im krassesten Fall, wenn die Texte gegenseitig ausgetauscht werden, verreißt der Kritisierte den Text des Kritisierenden nun ganz fürchterlich aus lauter „Rache“ und das wiederum bringt letzteren auch nicht weiter.
Aber wie gehen wir dann vor, wenn wir mit unserer Kritik helfen wollen, wenn wir dem Autor zeigen möchten, wie es „besser“ klingt, wie es mehr Wirkung entfaltet usw. Und natürlich umgekehrt muss auch die Frage gestattet sein, wie gehen wir selbst mit Kritik um, können wir sie annehmen, ohne gleich beleidigt zu sein? Oder denken wir jedes Mal im Stillen doch: dieser Idiot, was weiß der schon?
Na ja, es ist schon so, wenn ich mal ganz ehrlich bin, dass ich auch Kritik an meinen Texten eher von jemandem annehme, der selbst sehr gut schreibt. Wenn ein Autor, dessen Geschichten ich grottenschlecht finde, an meinem neuen Lieblingswerk herumkrittelt, dann habe ich da schon einige Vorbehalte, so nach dem Motto: weiß der überhaupt, wovon er spricht? Aber ist das so falsch? Würde ich mir von einem Menschen, der kein Instrument spielen kann, mein Klavierspiel kritisieren lassen? Okay, das Beispiel hinkt, denn einer, der nicht selbst musiziert, kann ja dennoch ein gutes Ohr haben. Genau wie jemand, der nicht oder schlecht schreibt, ein passionierter Leser sein kann und von dort seine „Berechtigung“ oder Befähigung zur Kritik ableiten kann. Das war jetzt ziemlich kompliziert formuliert, eigentlich wollte ich nur sagen: wer viel liest sollte im Grunde auch konstruktiv mithelfen können, Texte zu verbessern. Aber trotzdem fällt es mir doch viel leichter, Tipps und Anregungen von derjenigen anzunehmen, deren Schreibstil mir gefällt oder wo ich mir vielleicht sogar wünsche, genauso gut schreiben zu können.
Kritik erbitten
Jetzt aber mal Butter bei die Fische: wie bekomme ich wirklich hilfreiche Kritik und wie nehme ich sie entgegen? Das fängt doch erstmal damit an, dass ich mir genau überlege, wen ich um seine Meinung zu meinem Text bitte, siehe oben. Und dann habe ich ja in der Regel auch sehr konkrete Fragen, mal abgesehen von dem allgemeinen Eindruck, nach dem Motto Gefällt mir oder Mag ich gar nicht. So möchte ich unter anderem wissen, ob die Figuren gut herausgearbeitet sind, ob ihre Handlungen folgerichtig sind. Ich will erfahren, ob der Handlungsablauf logisch ist oder ob mir gravierende Fehler unterlaufen sind. Der Testleser soll mir genau erklären, wo es für ihn beim Lesen gehakt hat, welche Passagen für ihn unverständlich waren und so weiter und noch mehr. Und natürlich, ist doch klar, möchten wir ausdrücklich auch genau erfahren, was unseren Testleser*innen an unserer Geschichte, unserem Roman usw. besonders gut gefällt. Womit haben wir sie erreicht, welche Bilder, Formulierungen haben sie besonders angesprochen?
Was bietet sich also an? Ganz einfach, genau diese Fragen sollte ich dem Testleser auch genauso stellen. Ausformuliert und ins Detail gehend. Und mich dann nicht wundern, sondern freuen, wenn ich ebenso detaillierte Kommentare zurückbekomme. Für die ich mich dann natürlich auch ganz besonders ausdrücklich bedanke. Und nicht beleidigt bin und, falls mein Testleser ebenfalls Autor*in ist und mir seine Texte zum Testlesen gibt, ihm ebenso konstruktiv und freundlich seine Fragen beantworte.
Kritik üben
Wenn wir aber auf dieser anderen Seite stehen, wir also um unsere Meinung zu einem Text gefragt werden, wie „verpacken“ wir unsere Kritik, unseren Anmerkungen, Verbesserungen und Ratschläge? In einem früheren Leben, als Lernen mir noch leichter fiel, wurde mir eine Weisheit beigebracht, die ich mir bis heute gemerkt habe – und die du vermutlich auch kennst, denn es ist nichts so Aufregendes wie die Relativitätstheorie, sondern einfach nur die Erkenntnis: verpacke etwas Negatives in etwas Positives. Mit anderen Worten: wenn dich jemand bittet, seinen Text zu überarbeiten, beginne mit Lob. Liste zuerst all das auf, was dir an seinem oder ihrem Roman oder der Kurzgeschichte besonders gut gefällt, was gelungen ist, wo die Geschichte dich intensiv gefesselt hat und so weiter. Und danach vermeide bitte solche Formulierungen wie: „Das und das hast du gut formuliert, aber hier ….“ Oder „Diese Stelle gefällt mir, aber ich würde es so schreiben…“. Du verstehst, was ich sagen will? Streiche beim Lektorieren am besten das Wort aber aus deinem Wortschatz. Jedes aber relativiert, verkleinert das vorangegangene Lob oder macht es gar völlig unsichtbar. Denn der Autor sieht nur das aber und hat schlagartig alles was im Satz zuvor stand, vergessen. Warum das so ist, kann ich dir nicht sagen, ich bin keine Psychologin. Ich beobachte nur, mich selbst und andere.
Hilfreich sind auch Fragen. Stell der Autorin Fragen. Warum hat sie die Handlung hier so fortgeführt und nicht anders, warum lässt sie den Protagonisten an dieser Stelle genau das genau so sagen. Führe sie mit deinen Fragen dahin, dass ihr möglichst selbst und von allein klar wird, wo Verbesserungspotential ist. Sprachliche Schnitzer kannst du eventuell einfach kennzeichnen, sie verlangen nicht unbedingt nach ausführlicher Erklärung. Wenn du Änderungsvorschläge machst, sei behutsam, ändere nichts ohne mit der Autorin darüber zu sprechen, erkläre deine Gedanken und beharre nicht auf deinen Vorschlägen, wenn sie ihrerseits darauf besteht, diese Stelle nicht ändern zu wollen.
Denn am Ende ist jeder Autor und jede Autorin Chef*in im Ring und damit am Ende für den Text, die Geschichte oder den Roman ganz allein verantwortlich. Wenn er oder sie also unseren Ratschlag nicht annehmen will, so ist das sein/ihr gutes Recht und wir sollten darüber nun ebenfalls nicht beleidigt sein. Mal abgesehen davon, dass wir selbst schließlich auch nicht allwissend sind. Und schlussendlich hat Schreiben etwas mit Kreativität zu tun und also etwas mit Kunst. Und Kunst ist und bleibt Geschmacksache.