Die Polizeiarbeit steht im Vordergrund dieses interessanten, eher konventionellen Krimis
Die Autorin ist selbst Dozentin für Kreatives Schreiben, versteht also ihr Handwerk. Der vorliegende, gerade erschienene Kriminalroman mit einer ungewöhnlichen Ermittlerin im Mittelpunkt, ist auch nicht das erste Buch von Anette Huesmann.
Der Begriff forensische Linguistin war mir bislang nicht geläufig und so geht es sicher vielen Leser:innen diese Krimis. Maggie Kofler, so ihr Name, wird zu einem Mordfall nach Hamburg abgeordnet, in ihrer Begleitung Cem Bayrak, Praktikant in Vertretung ihres eigentlichen, aber erkrankten Kollegen.
Der Tote ist Inhaber einer Reederei und wurde erschossen an seinem Schreibtisch aufgefunden, vor ihm auf dem Tisch ein Drohbrief. An sich schon ein merkwürdiges Szenario, denn wer schreibt einen Drohbrief an einen Toten? Maggies Aufgabe nun ist es, anhand der Sprache und der sprachlichen Eigenheiten des Drohbriefs Rückschlüsse auf den Verfasser bzw. die Verfasserin des Schreibens zu ziehen.
Einige Dinge fallen ihr sofort ins Auge, jedoch verlieren sich diese Spuren vorerst, so dass die Mordkommission, der sie zugeteilt ist, zu Beginn wenig Vertrauen in Maggies Vorgehensweise hat. Geleitet wird die Mordkommission von Luise Becker, die, wie sich schnell herausstellt, die Ex von Maggie ist. Vor dreizehn Jahren hat man sich getrennt, Luise ist inzwischen verheiratet mit Katharina und hat zwei Kinder. Dass sich diese Konstellation erschwerend auf die Ermittlungen auswirkt, ist vorhersehbar.
Cem Bayrak, mit Humor und viel Geduld gesegneter Praktikant, der sich vor allem der psychologischen Aspekte eines Falles annimmt, ist ein guter Beobachter, der auch schon mal auf eigene Faust ermittelt und so den Fall durchaus voranbringt.
Wer Täter oder Täterin war, ist lange nicht klar, dennoch kristallisiert sich nach und nach immerhin ein Motiv heraus, so dass man schon ein wenig vor der Auflösung die Lösung ahnt.
Der Roman ist aus wechselnden Perspektiven geschrieben, mal folgt man Maggies Sicht, mal Cems und mal der von Luise. Die Perspektivwechsel geschehen meist unvermittelt, manchmal mitten in einer Szene, so dass man davon zu überrascht wird und sich erst zurecht finden muss.
Der Schreibstil ist konventionell, die Spannung steigt zwar, aber sie macht den Roman nicht zu einem Pageturner, dafür entwickelt sich die Geschichte zu langsam. Die Konzentration liegt gänzlich auf der Polizeiarbeit, es gibt – was in meinen Augen ein großer Vorteil ist – keine Szene aus Sicht des Täters oder der Täterin.
Störend war für mich der immer wieder in den Vordergrund drängende private Teil der Geschichte, die gescheiterte Beziehung zwischen Maggie und Luise. Dass es heutiger Zeitgeschmack ist, eine gleichgeschlechtliche Beziehung in einem Roman zu schildern, sei akzeptiert, aber hier nahm mir die Beziehung an sich zu viel Raum ein. Ständig grübelt Maggie über die Trennung, reagiert Luise gereizt auf alles, was Maggie sagt oder tut. Das ist mir zu dick aufgetragen, nach dreizehn Jahren auch ein wenig unrealistisch. Am Ende erklärt sich zwar, woran Maggie wirklich leidet, aber das hätte man früher erzählen können, damit man sich eher einfindet in die Nöte der Protagonistin.
Die Figuren insgesamt waren etwas hölzern, in der Gruppe der Ermittler gab es zu viele, so dass man immer mal verloren war zwischen den wechselnden Namen. Die Dialoge hingegen wirken authentisch und lebendig.
Insgesamt ein gut lesbarer Roman, der einen interessanten und neuen Aspekt der Polizeiarbeit beleuchtet, mit für meinen Geschmack ein bisschen zu viel Privatleben der Ermittlerinnen.
Anette Huesmann – Geheimnisse
BoD, Juni 2024
Taschenbuch, 259 Seiten, 11,99 €