Was kann man Besseres über einen Roman sagen, als dass man ihn innerhalb weniger Stunden verschlungen hat. Genau so erging es mir mit diesem wunderbaren Buch: nachdem ich die erste Seite gelesen hatte, konnte ich es nicht mehr aus der Hand legen. Der Roman ist herzerwärmend wie eine liebevolle Umarmung, wie ein weiche Kuscheldecke und eine schnurrende Katze auf dem Schoß.
Die irische Autorin Ciara Geraghty erzählt uns von Terry und Iris, beide Frauen in den sogenannten besten Jahren Mitte Fünfzig. Seit einigen Jahren sind sie beste Freundinnen, dabei könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Terry, stets besorgte und fürsorgliche Mutter und Ehefrau, die für jedes Kleidungstück die Waschanleitung im Kopf hat und Iris, selbständig, selbstbewusst, charismatisch und schwer an Multipler Sklerose erkrankt.
Eines Tages beschließt Iris, ihrem Leben in der Schweiz ein Ende zu setzen, bevor die Krankheit ihr diese Selbstbestimmung raubt. Sie reist ab ohne Terry zu informieren. Als diese es herausfindet, fährt sie ihr nach, dabei hat sie ihren dementen Vater im Schlepptau. Aus dieser Konstellation entwickelt die Autorin eine berührende Geschichte, ohne Kitsch, ohne Schmalz, mit einem wunderbar zarten Humor, mit herrlich lebensechten Protagonistinnen. Die wir mit großem Vergnügen auf ihrer abenteuerreichen Fahrt begleiten. All die Schlamassel, in welche die drei Reisenden geraten, die lebensnahen Dialoge, die authentischen Figuren, die lebendigen Beschreibungen, all das macht diesen Roman schlicht perfekt. Mir ging während der Lektüre ständig der Wunsch durch den Kopf, so schreiben zu können.
Iris‘ nonkonformistische Mutter, der verlockend attraktive Empfangschef-Page-Kellner-Barkeeper in einem luxuriösen französischen Schlosshotel und das absonderlich kauzige Paar, in deren Unterkunft die drei in Frankreich Station machen – all diesen Figuren zu begegnen ist eine helle Freude. Dabei wird es nie albern, bewahrt die Autorin stets geschickt die Balance zwischen Humor und Ernsthaftigkeit, zwischen witzigen Begebenheiten und nachdenklichen Zwiegesprächen.
In einer kürzlichen Rezension über einen anderen Roman schrieb ich, dessen Autorin missachtet die Grundregel kreativen Schreibens, die da lautet „Show, don’t tell“. Genau das aber ist es, was Ciara Geraghty geradezu perfekt gelingt. Sie erzählt uns nicht von den Schmerzen, unter denen Iris leidet, sie erzählt uns nicht von Zweifeln, die Terry beschäftigen, wenn sie beginnt über ihr Leben nachzudenken. Sie zeigt all das ihren Leserinnen, sie findet für all das die perfekten Bilder, die passenden Worte. Statt weiter über dieses wunderbare Buch zu schwärmen, wünsche ich mir einfach noch viele weitere Romane dieser hervorragenden Autorin.
Ciara Geraghty – Das Leben ist zu kurz für irgendwann
aus dem Englischen von Sibylle Schmidt
Goldmann, März 2021
Gebundene Ausgabe, 380 Seiten, 20,00 €