Dorfidylle, die für zwei Frauen eher zum Gefängnis wird
Es ist ganz sicher eine Binsenweisheit, dass ein Autor nicht immer gleich gut schreibt, dass Leser:innen nicht alle seine Werke gleich gut gefallen. Bei Ewald Arenz ist das für mich sehr ausgeprägt, haben mich doch vor allem zwei seiner bisherigen Romane sehr berührt und überzeugt, andere dagegen konnten mich nicht erreichen.
Nun also ein neuer Roman aus der Feder dieses fleißigen Autors, dessen „Alte Sorten“ oder insbesondere „Der große Sommer“ absolute Highlights waren und sind. Diesmal entführt er uns in ein Dorf in Süddeutschland, zu Beginn der 70er Jahre. Zwei Frauen stehen im Mittelpunkt der Handlung, aus ihren Perspektiven verfolgen wir die Ereignisse.
Da ist Roberta, Anfang 20, die für eine Schneiderlehre in der Stadt war, ein paar Jahre von zuhause fort. Sie hat in einer Fabrik gelernt und gearbeitet, war in einem ganz anderen Umfeld als sie es vom heimatlichen Dorf gewöhnt ist. Ihre Eltern betreiben einen Bauernhof, wo es ständig und immer viel zu tun gibt. Vater und Mutter sind wortkarg, es interessiert sie nur die zurückkehrende und schmerzhaft vermisste Arbeitskraft, ihr Interesse an Robertas Wünschen oder Gefühlen ist so gut wie nicht vorhanden.
Und da ist Gertrud, die Frau des Pfarrers. Seit Jahren lebt sie in dem Dorf, ist dort aber nie heimisch geworden. Solange ihr Sohn Wilhelm noch klein war und ihrer Obhut bedurfte, war sie beschäftigt. Doch inzwischen ist er erwachsen, leistet gerade seinen Zivildienst ab, und Gertrud fühlt sich mehr denn je fehl am Platz. Sie erstickt an Langeweile, vermisst das Leben in der Großstadt Hamburg, in der sie aufwuchs.
Dass sich zwischen Roberta und Wilhelm eine große und berührende Liebesgeschichte entwickelt, bekommt Gertrud, so verstrickt in ihr eigenes Selbstmitleid, nicht mit. Roberta, der selbst nicht wirklich bewusst ist, dass sie eigentlich lieber als Schneiderin arbeiten würde statt Bäuerin zu sein, sieht für sich aber keine Alternative, als einziges Kind ihrer Eltern. Für Roberta ist die Arbeit auf dem Hof mit allem was dazu gehört, selbstverständlich. Sie redet es sich schön, malt sich das Leben idyllischer als es ist.
So glaubt sie auch nicht an eine Zukunft mit Wilhelm, der irgendwann zum Studieren fortgehen wird, während sie ans Dorf gebunden ist. Ihre Beziehung halten die Beiden vor allen geheim, der Grund dafür hat sich mir bei der Lektüre nicht so ganz erschlossen. Derweil geht Gertrud auf eine zweimonatige Reise mit ihrem Bruder durch Europa, kommt zurück und empfindet die dörfliche Enge nun umso schlimmer.
Dann geschieht vieles auf einmal, bis es schließlich in einem Unglück kumuliert. Und am Ende sind alle da, wo sie am Anfang waren.
Wie immer schafft Ewald Arenz es, die genauen Strömungen, die Atmosphäre des Dorfes, der Landwirtschaft und des Pfarrhaushaltes exakt einzufangen. Er arbeitet viel mit allen Sinnen, schildert stets die Gerüche, die bei Roberta immer wieder bestimmte Erinnerungen und Assoziationen auslösen. Arenz widmet dabei viele Sätze, viele Worte diesen Beschreibungen. Doch leider empfand ich diesmal alles als zu süßlich, zu idyllisch.
Die Handlung nimmt an mancher Stelle schmonzettenhafte Züge an, alles wird ein bisschen zu dick aufgetragen. Nach etwa zwei Dritteln wird es geradezu groschenheftartig, wird es banal und kitschig. So gut der Autor Landschaft und Stimmung der Natur beschreiben kann, so wenig gelingt es ihm in diesem Roman, die Gefühle der Figuren in Worte zu fassen. Besonders störend das ständige Lächeln. Alle lächeln stets, auch an Stellen, an denen es völlig unpassend ist. Lächeln ist der einzige Gefühlsausdruck. Abgesehen von Robertas Umgang mit dem Unglücksfall, hier wiederum schafft es der Autor, ihre Gefühle sehr bildhaft und einfühlsam zu beschreiben.
Insgesamt ein etwas zu kitschiger Frauenroman um künstlich aufgebauschte Probleme. Nicht so überzeugend wie andere Bücher dieses guten Autors.
Ewald Arenz – Zwei Leben
DuMont, September 2024
Gebundene Ausgabe, 363 Seiten, 25,00 €
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