Ob man einen Roman mag oder nicht, hängt ja oft davon ob, ob man die Hauptfiguren mag oder nicht. Bei dem vorliegenden Buch des französischen Bestseller-Autors bin ich deswegen hin und her gerissen. Denn die eine Hauptfigur beginnt man zu lieben, während die andere einfach nur abstoßend, unsympathisch ist.
Die Handlung spielt zur Zeit der Gelbwesten-Proteste in Frankreich. Pierre engagiert sich dabei an vorderster Front – wobei der Begriff Front hier tatsächlich wörtlich zu verstehen ist. Denn es hat den Anschein, als wähne sich Pierre im Krieg. Mit jedem und allen.
Mit seiner unversöhnlichen, aggressiven Art der Demonstration verdirbt er es sich nicht nur mit seinen Mitstreitern, vor allem verprellt und vergrellt er damit seine Familie. Louise, seine Frau, Krankenschwester auf der Palliativstation eines Krankenhauses, leidet mit jedem der Kranken mit, die sie versorgt. Sie leidet an Pierre und sie leidet an Geoffroy, ihrem Sohn.
Der ist 13 Jahre alt und Autist. Damit kommt Pierre überhaupt nicht klar. Seit das erkannt wurde, zieht er sich immer mehr von Frau und Kind zurück. Louise hingegen liebt ihren Sohn, so wie er ist. Und Geoffroy liebt Djamila. Sie ist etwas älter als er und die Einzige, die in der Schule zu ihm hält.
Der krasse Gegensatz zwischen den Szenen, in welchen Pierre wütend, wie ein Berserker kämpft und den stillen Szenen mit Geoffroy und Djamila, die den Jungen genauso nimmt, wie er ist, sich an sein Tempo und sein Leben anpasst, und den Szenen mit Louise am Bett einer Sterbenden, dieser harte Bruch zwischen den Szenen macht die Lektüre dieses Buch schwer, anstrengend. Auch, wie gesagt, weil man besonders Pierre einfach nur ablehnt, vor allem wegen seines Verhaltens Geoffroy gegenüber.
Schließlich eskaliert die Lage natürlich und hier wird das Buch dann wieder hochspannend. Trotzdem stehe ich dem Roman mit sehr gemischten Gefühlen gegenüber. Das liegt auch sehr an formalen Dingen. Denn abgesehen von den voneinander abgesetzten, mit Farben betitelten Kapiteln gibt es im ganzen Buch nicht einen einzigen Absatz. Jedes, über viele Seiten gehende Kapitel besteht jeweils nur aus einem einzigen Absatz. Das erschwert das Lesen unheimlich und verdirbt zumindest mir jede Freude am Lesen. Wenn Dialoge hin und her gehen, wenn Perspektiven wechseln, nie kommt ein Absatz. Man muss hochkonzentriert sein. So kann ich jedoch einen Roman nicht genießen. Diese Formalie, die vermutlich ein besonderes Stilmittel sein soll, hat mir die Freude an diesem Buch verdorben. Schade.
Grégoire Delacourt – Die wärmste aller Farben
aus dem Französischen von Katrin Segerer
Atlantik, November 2021
Gebundene Ausgabe, 251 Seiten, 22,00 €