Ein überzeugendes Debüt einer deutschen Autorin, von der man hofft, mehr lesen zu dürfen. Die Geschichte, die Janine Adomeit erzählt, wird vor allem getragen von den interessanten, vielschichtigen und überraschenden Charakteren, Menschen, die mit ihrem Schicksal hadern und sich ihm entgegenstellen wollen. Doch nicht allen gelingt das.
Villrath, ein, wie ich vermute, fiktiver Ort zwischen Ahr, Mosel und Rhein, war einmal ein angesehener Kurort mit allem was dazugehörte, Touristen, florierendem Einzelhandel, abwechslungsreicher Kultur und spendablen Kurgästen. Doch nach einem Erdbeben versiegte die Quelle des Heilwassers und damit die Quelle allen Wohlstands des Ortes. Nicht nur die Läden und Häuser der Kleinstadt verkamen, sondern auch mit den Einwohnern ging es immer mehr bergab.
Da sind Vera, Wirtin im Stübchen, das sie von ihrer Mutter übernommen hat, und ihr Sohn Johannes. Sie trinkt zu viel, raucht zu viel, hat zu viele Männer (gehabt) und sieht keinerlei Licht am Horizont. Johannes lebt in seiner eigenen Welt, die sich vor allem um Motorräder dreht, widerwillig hilft er seiner Mutter in der Kneipe, er himmelt von Ferne eine Klassenkameradin an und verliert seinen Aushilfsjob im Supermarkt.
Und da ist der alte Kamps, selbst ernannter Ordnungshüter in Villrath, wobei Ordnung hier wörtlich gemeint ist, denn er sammelt den auf dem Friedhof verteilten Müll ein und bewacht die leerstehenden Häuser in seiner Nachbarschaft. Denn in der Nähe des Ortes versammeln sich dubiose Menschen, die gegen den Bau einer Bahnstrecke durch den Villrather Wald protestieren. Diese jungen Leute sind Kamps nicht geheuer.
Nun geschieht das Unglaubliche: beim Bau der Bahnstrecke wird die alte Quelle wieder freigelegt, das Heilwasser sprudelt wieder. Und plötzlich überschlagen sich die Ereignisse. Vor allem Vera will nun ihren Stich machen. Seinerzeit war sie die letzte Villrather Nixe, aber ihre „Regierungszeit“ endete abrupt mit dem Versiegen der Quelle. Nun sieht sie ihre Chance und will wieder als Nixe in Amt und Würde kommen. Auch interessieren sich plötzlich Investoren für den Ort und für ihr Stübchen. Und für Johannes ergeben sich auf einmal auch einige umwälzende Veränderungen.
Es ist faszinierend, wie Janine Adomeit die Geschichte entwickelt, wie sie die Figuren wie unter einem Brennglas agieren lässt. Niemand in dieser Handlung ist wirklich nett, niemand ist wirklich heil an Geist oder Körper. Und dennoch kann man nicht umhin, die Menschen zu mögen, mit ihnen zu leiden, zu fiebern, ob es ihnen gelingt, ihre Schäfchen ins Trockene zu bekommen oder nicht.
Da ich gerade solche figurengetragenen Geschichten mag, habe ich den Roman genossen. Die Charaktere sind unglaublich gut erdacht, jede ihrer Handlungen erklärt sich aus ihren Vorgeschichten, aus ihren Hintergründen. Wenn Vera sich an ihre Lehre im Friseursalon erinnert, an den Lehrmeister, den sie heute noch im Seniorenheim besucht, dann sind das Szenen, die leben, die pulsieren. Wenn Johannes mit dem Schrottsammler Harry durch die Gegend fährt, dann wartet man auf die platzende Bombe. Und vor allem der alte Kamps, der Dutzende Katzen versorgt, ist eine Figur, der man wünscht, dass sie heil durch die Geschehnisse kommt.
Auch die Dialoge, die Nebenfiguren, die Beschreibungen und Metaphern sitzen, manche Sätze wirken wie gemeißelt, manche treffen ins Tiefschwarze. „Andererseits konnte er [Kamps] die Jüngeren nur schwer auseinanderhalten. Zu nichtssagend, zu glatt. Noch kein Abdruck vom Gewicht der Jahrzehnte, der sich als Eselsbrücke bot. So war das nämlich: Die Zeit setzte sich einem mit dem Hintern ins Gesicht.“ (S. 52).
Der Stil von Janine Adomeit, lakonisch, beobachtend, ohne zu verurteilen, tief in die Seelen schauend, ohne zu verletzen, erinnert mich an Mariana Leky in ihrem Buch „Was man von hier aus sehen kann“, wenn auch ohne deren hintergründigen Humor.
Ein wirklich lesenswertes, beeindruckendes Debüt.
Janine Adomeit – Vom Versuch, einen silbernen Aal zu fangen
dtv, Juli 2021
Gebundene Ausgabe, 430 Seiten, 22,00 €
Liebe Rena. Das ist die bislang bewegendste Rezension meines Romans, die ich bisher gelesen habe. Ich freue mich unglaublich. Auch, weil es für mich so klingt, als ob du den Text einfach verstanden hast. Jedenfalls sprichst du ganz vieles an, was mir wichtig war beim Schreiben! Ein großes Danke von ganzem Herzen. Janine