Jessica Lind – Kleine Monster

⭐⭐⭐

Wenn eine Mutter ihrem Kind nicht mehr traut – schwieriger Roman

Dieser Roman ist nicht nur wegen des Themas schwierig, sondern für mich auch wegen der Protagonistin. Wenn ich die Hauptfigur eines Roman nicht mag, wenn sie mir unsympathisch ist, hat es der Roman schwer, mich zu erreichen. Daher wurde ich nicht nur mit Pia, die diese Geschichte in Ich-Form erzählt, nicht warm, sondern eben auch mit dem ganzen Roman.

Pia und ihr Mann Jakob werden in die Schule ihres siebenjährigen Sohnes Luca gerufen, es sei „etwas vorgefallen“. Doch niemand, weder die Direktorin noch das beteiligte Mädchen und noch viel weniger Luca selbst erzählen, was denn genau vorgefallen ist.

So steigert sich Pia nach und nach immer mehr in diesen Vorfall hinein, mal glaubt sie, die anderen Beteiligten übertreiben, denkt, die Eltern der anderen Schüler:innen schneiden sie, schließen sie aus. Mal misstraut Pia ihrem eigenen Sohn, beginnt ihn zu beobachten, interpretiert in alles, was er tut, sagt oder eben nicht sagt oder tut, einiges hinein, traut ihm irgendwann auch das Schlimmste zu.

Ganz anders ihr Mann Jakob, der all das viel entspannter angeht, der sich nicht getrieben fühlt von der Meinung anderer, sondern seinem Sohn vertraut, der Luca glaubt, was immer dieser auf die insistierenden Fragen antwortet.

Zwischen die Beschreibung der aktuellen Ereignisse, der Gefühle und Zweifel Pias sind eingewoben Rückblicke auf ihre eigene Kindheit, auf ihr Aufwachsen mit zwei jüngeren Schwestern. Eine, Romi, war adoptiert, die andere, die jüngste, Linda, starb mit vier Jahren. Diese Ereignisse haben auf Pia nachhaltige Wirkung gehabt, verfolgen sie bis heute. Sie hat nie erfahren, nie verstanden, was damals geschah, wie Linda starb und ob Romi damit etwas zu tun hatte oder nicht. Mit Romi selbst hat sie seit langem keinen Kontakt mehr, auch mit ihren Eltern versteht sie sich nicht ohne Probleme.

Die Vermischung aus Vergangenheit und Gegenwart machen es zu Pias eigener Geschichte, mehr als dass es eine Geschichte um ihr Muttersein und ihrem Umgang mit ihrem Sohn ist. Es wird nicht klar, ob sie anders mit den aktuellen Geschehnissen, mit den Vorwürfen gegen Luca umgehen würde, hätte sie selbst eine andere Kindheit erlebt. Wie sehr wurde sie durch den Tod ihrer kleinen Schwester und vor allem durch den Umgang der damaligen Erwachsenen damit geprägt, wie sehr beeinflusst das ihr Handeln heute?

Was mir aber Pia so gänzlich unsympathisch machte, war ihre Empathielosigkeit, ihre Unfähigkeit mit ihrem Sohn altersgerecht umzugehen, ihn als Kind zu sehen und zu behandeln. Mal scheint er fast ihr Feind zu sein, dann wieder drängt sie ihm regelrecht ihre Liebe auf. Ich konnte mich in Pia nicht hineinfühlen, mich stieß ihr Verhalten manchmal sogar ab. Das machte es mir wirklich schwer, den Roman zu mögen. Der im Übrigen schon wieder das Thema Mütter und ihren Umgang mit der Mutterschaft thematisiert, was derzeit ein sehr aktuelles und immer wieder in neuen Romanen ausgeschöpftes Thema zu sein scheint.

So kann ich den Roman zwar wegen des wirklich guten Schreibstils, der Fähigkeit der Autorin, die Zerrissenheit der Protagonistin plastisch und nachvollziehbar in Worte zu fassen, einerseits empfehlen. Andererseits sollte man nicht erwarten, eine nette, sympathische Hauptfigur anzutreffen, zumal die aufgestellte Problematik schließlich auch nicht einfach ist.

Jessica Lind – Kleine Monster
Hanser Berlin, Juli 2024
Gebundene Ausgabe, 251 Seiten, 24,00 €

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