Falls es das Wort Jongleuse gibt, dann trifft das auf diese Autorin voll und ganz zu. Julia Hoch jongliert mit Worten, dass der Leserin regelrecht schwindlig wird. „Etwas in Hilde sackte zusammen. Sie begann innerlich zu fallen. Boden weg, freier Fall, Fall, Fall. In Ohnmacht kurz vor dem Aufprall. Es tönte, schwärzte, schwelte, rauchte, rauschte, rotierte. Ein Krisenherd. Zischelte, rumorte, rußte.“ (S. 68).
Dass man sich dabei fragt, wie jemand innerlich fallen kann, überlesen wir hier mal großzügig.
Worum geht es in diesem Debütroman der Bochumer Autorin, die unter anderem Mitglied der Bochumer Literaten und der Prosa:ist:innen ist und schon in einigen Anthologien veröffentlicht hat? Zwei betagte Damen, die 82-jährigen Zwillingsschwestern Hilde und Lore, erfahren durch Zufall, dass das Haus, in dem sich ihre Kneipe, das „Lindenstübchen“ befindet, abgerissen werden soll. Die Beiden haben sich seit zwanzig Jahren nicht mehr um das Lokal gekümmert, seit Hilde nach einem Unfall an den Rollstuhl gebunden ist. Nun suchen sie es auf, entdecken alte Erinnerungen wieder und beschließen, den Abriss zu verhindern.
Mühsam finden sie, die vollkommen zurückgezogen leben und entsprechend weltfremd sind, heraus, dass man sie um die Kneipe betrogen hat, sie stehen nicht mehr als Eigentümerinnen im Grundbuch. Mit Hilfe ihres Nachbarn, eines Computernerds, sowie alten Bekannten und ehemaligen Verehrern kommen sie hinter den Betrug des Investors. Doch dann läuft ihre Aktion ziemlich aus dem Ruder, verlieren die beiden alten Frauen die Kontrolle. Eine Gruppe von Umweltaktivisten organisiert eine Demo, ein Video geht viral und lässt sich nicht mehr stoppen. Von all dem sind Hilde und Lore komplett überfordert. Doch während Hilde, die bislang Forschere der Beiden, größere Problem hat, sich in der neuen Situation zurechtzufinden, blüht Lore, die Stumme und Duldende, regelrecht auf.
Diese Zusammenfassung klingt unterhaltsamer als der Roman eigentlich ist. Es gibt witzige Szenen, die der Leserin ein lautes Lachen entlocken, es gibt aber auch stille Momente, wenn die beiden Protagonistinnen über ihr Leben und das Leben im Allgemeinen nachsinnen. Lore ist eine stille Frau, die sich ihre Gedanken macht, aber selten aufbegehrt. Irgendwann hatte sie aufgehört, zu reden, sprach nur noch, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Hilde dagegen ist fast despotisch, sie organisiert, sie bestimmt. Sie ist die unsympathischere der beiden Schwestern, die weniger anpassungsfähige.
Die Geschichte, die Julia Hoch hier erzählt, ist unterhaltsam, die Figuren hingegen sind mir etwas zu unrealistisch. Für zwei Frauen, die ihr Leben lang eine Kneipe geführt haben, waren mir die beiden Schwestern zu weltfremd, zu menschenscheu, zu vorgestrig. Die Menschen, die sie unterstützen – und es dabei manches Mal übertreiben – sind skurrile Typen, eine bunte Mischung aus Freaks, Nerds und Bürokraten, wobei die Autorin hier geschickt gefährliche Klischee-Klippen umschifft. Aber auch hier waren mir die Charaktere etwas zu dick aufgetragen, was dem Spaß beim Lesen jedoch keinen Abbruch tat.
Was hingegen beeindruckt, ist der Stil von Julia Hoch, die, wie bereits erwähnt, Worte, Bilder und Metaphern mit geradezu artistischem Geschick einsetzt, verbindet und damit immer wieder überrascht. Dass am Ende Fritz, der Flummi, die Probleme zu einem dramatischen Ende bringt, ist schließlich das gekonnte I-Tüpfelchen auf einer abgedrehten Story.
Ich freue mich auf weitere Romane von Julia Hoch, macht dieser doch Lust auf mehr Lektüre von ihr.
Julia Hoch – LebensWende
Ulrike-Helmer-Verlag, August 2021
Taschenbuch, 229 Seiten, 16,00 €