Das dritte Buch über das Graphische Viertel in Leipzig – mystisch-spannend
Die bisherigen zwei Bände, die sich ebenfalls auf die eine oder andere Weise mit dem berühmten Graphischen Viertel in Leipzig beschäftigen, waren absolute Highlights. Der Handlungsaufbau, die geschickt erschaffene Spannung sowie natürlich das über allem stehende Thema Bücher, all das schuf ein packendes Romanwerk.
Nun also ein dritter Band. Alle drei stehen für sich und können unabhängig voneinander gelesen werden. Es gibt nur wenige Bezüge zwischen den drei Büchern, ein paar wenige Figuren werden hier wie dort erwähnt. Es sind vor allem Thema und Setting, die das Bindeglied zwischen den Büchern bilden sowie ein Fall der Hauptfigur aus dem vorigen Band.
Der neue Roman spielt auf zwei Zeitebenen, 1933 und 1913, und an zwei Handlungsorten, in Leipzig und in „Kurland“, wie man damals das Baltikum bezeichnete.
Der Leipziger Kommissar Cornelius Frey hatte während eines früheren Falles nicht im Sinne der neuen Machthaber gehandelt und war daher aus dem Dienst ausgeschieden. Wir schreiben das Jahr 1933 und die ersten Verfolgungen von Andersdenkenden, Kommunisten, Juden und anderen nehmen Fahrt auf.
Da wird ein früherer Kollege von Cornelius, ein sehr pedantischer Kommissar, ermordet und mit ihm zusammen ein sehr junges Mädchen. Welches Cornelius zufälligerweise am Vorabend von einem Selbstmord zurückhalten konnte. Weil ihm dieser Umstand keine Ruhe lässt, geht er zurück zu Polizei und beginnt zu ermitteln.
Dabei gerät er immer tiefer in alle möglichen merkwürdigen Kreise, bekommt es mit Okkultismus, mit Freimaurern, mit dem Organisierten Verbrechen und mit der SA zu tun und wird zusätzlich noch von einem alten Feind bedroht. All dies, während er gleichzeitig versucht, ein weiteres junges Mädchen vor ihren Verfolgern zu beschützen.
Auf der anderen Handlungsebene, im Winter 1913, folgen wir der Reise von Paula Engel und ihrem Verlobten Jonathan. Paula ist Lektorin und soll den neuen Roman des berühmten Schriftstellers Aschenbrand abholen. Das Haus, in dem Aschenbrand, nur unterstützt von einer stundenweise kommenden Haushaltshilfe, wohnt, ist groß, verwinkelt und sehr unheimlich. Die Besitzer des Hauses sind angeblich alle abgereist, doch Paula hört immer wieder Stimmen, Schritte, Geräusche, entdeckt geheime Gänge. Und misstraut Aschenbrand, dessen neues Buch sie nicht zu sehen bekommt.
Dieser Teil ist in Ich-Form aus Sicht von Paula geschrieben, was zu Beginn sehr irritiert. Der Grund dafür wird erst ganz am Ende des Romans aufgeklärt. Der in Leipzig spielende Handlungsteil wird in der dritten Person aus der Perspektive von Cornelius erzählt. Natürlich laufen die Stränge irgendwann zusammen, klärt sich auf, was 1913 geschah und in welchem Zusammenhang es mit den Ereignissen 1933 steht.
Insgesamt ist der Roman stilistisch wieder ebenso gut geschrieben wie die beiden Vorgänger. Dennoch hat er mich weit weniger gefesselt, konnte mich die Story nicht vollends packen. Es gab längere Strecken, die eher langatmig als spannend waren. Und vor allem gab es zu viele Handlungsfäden, zu viele Themen, zu viele Figuren, was immens verwirrend war, aber für die schließliche Auflösung wenig beitrug. Dadurch wirkte der Roman überladen, mit all diesen Themen Séancen und Okkultismus, Judenverfolgung, Kommunistenverfolgung, Freimaurerlogen, Mädchenhandel, Zuhälter und organisiertes Verbrechen, Korruption bei der Polizei, dazu noch die Russen, die die Bevölkerung in Kurland/Livland drangsalieren – es ist etwas zu viel.
Dafür war die Hauptfigur des Cornelius Frey sehr sympathisch, wenn auch nur bedingt realistisch, da er all die vielen wirklich üblen Prügel, die er im Laufe der Handlung bezog, alle folgenlos überstand und unmittelbar danach schon wieder Verbrecher verfolgen konnte. Das war etwas unwahrscheinlich.
Die Szenen im Haus von Aschenbrand waren mir zu wenig subtil. Es gruselte mich hier überhaupt nicht, so sehr der Autor auch versuchte, genau einen solchen Effekt zu erzielen. Das war zu offensichtlich darauf angelegt, zu plump und platt, um zu wirken.
Dennoch hat in Gänze die Lektüre wieder viel Spaß gemacht. Vielleicht gibt es ja noch einen weiteren Roman aus dem Graphischen Viertel…
Kai Meyer – Das Haus der Bücher und Schatten
Knaur, November 2024
Gebundene Ausgabe, 526 Seiten, 24,00 €
Schau auch hier: Kai Meyer – Die Bibliothek im Nebel und andere