Nicht jede Romanautorin oder jeder Romanautor kann auch Kurzgeschichte. Mechtild Borrmann kann. Was sie virtuos in diesem Band unter Beweis stellt, der zwanzig lebendige und lebensnahe Erzählungen aus ihrer Feder vorstellt.
Mechtild Borrmann, am Niederrhein geboren und heute in Bielefeld lebend, ist eine bekannte Bestsellerautorin. Ihre historischen Romane „Trümmerkind“ und „Grenzgänger“ sind mit Preisen ausgezeichnet worden und das wohlverdient. Doch ihre Kurzgeschichten stehen dem in nichts nach.
Der Stoff jeder dieser Geschichte hätte vermutlich auch für einen ganzen Roman gereicht, so prall, so tief sind die Texte. Es ist fabelhaft, wie es der Autorin gelingt, die Leserin mit wenigen Sätzen, mit ein paar Bildern in die Geschichten hineinzuziehen. Wie sie Stimmungen erzeugt, Settings erschafft und Figuren zum Leben erweckt. So dass man es fast bedauert, diese nach wenigen Seiten schon wieder verlassen zu müssen. Doch die nächste Erzählung fesselt wieder von neuem.
Im Grunde sind es Alltagserlebnisse, von denen sie berichtet. Auch wenn reichlich gestorben wird in diesen Geschichten, und nicht immer eines natürlichen Todes. Ja, es gibt einige Leichen, doch auch schmunzeln kann man über die manchmal skurrilen Ereignisse.
Da ist die Ehefrau, die es nicht mehr erträgt, dass ihr Ehemann jedes Jahr zu Weihnachten eine Tanne im Topf kauft, die nach den Feiertagen im Garten eingepflanzt wird. So entsteht im Laufe der vielen Jahre ein dichter, dunkler Wald, der kein Sonnenlicht mehr in die Wohnung lässt. Doch sie weiß Abhilfe.
Da ist der Architekt, der durch ein unverhofftes Wiedersehen an seine Jugend erinnert wird und ein schreckliches Erlebnis aufklären muss.
Da sitzt Christa auf der Polizeiwache beim Verhör und soll ihre Tat erklären, wann alles begann und warum. Nur sie weiß nicht, wann das, was geschah, seinen Anfang genommen hatte und warum ein einziger Satz schließlich ihre Tat auslöste.
Und da ist der Mann, der einen anderen auf offener Straße tötet. Das Motiv für diesen Mord erschließt sich aus dem Rückblick auf das, was vor Jahren zwischen den Beiden geschehen war.
Alle diese und noch viele andere Geschichten erzählt Mechtild Borrmann mit spröder, unaufgeregter Sprache, sie berichtet, ohne zu werten, ohne zu urteilen. Distanziert, doch nicht ohne Mitgefühl. Mit genauem Blick für die Details, für das Individuelle im Einzelnen. Ihre Geschichten handeln von Erinnerung und Erwartung, von Liebe und Hass, von Verstehen, Verzeihen und Versöhnung, von Wut und von Glück. Vom Alltag und alltäglichen Menschen.
Ihr Stil erinnert ein wenig an Raymond Carver, den Meister der Kurzgeschichten, der ebenso präzise beobachten und unprätentiös erzählen konnte. Nicht nur für Freund:innen von Kurzprosa eine lohnende Lektüre.
Mechtild Borrmann – Das Glück hat einen langsamen Takt
Droemer, April 2021
Gebundene Ausgabe, 192 Seiten, 18,00 €
Schau auch hier: Mechtild Borrmann – Grenzgänger