Überleben nach schwerer Krankheit – ein biografischer Roman?
Wenn die Protagonistin den Namen der Autorin trägt, handelt es sich dann dennoch um Fiktion oder erzählt der Roman die Geschichte seiner Verfasserin? Diese Frage bleibt leider unbeantwortet.
Allenfalls die Danksagung, in welcher sich Lilly Polansky unter anderem bei Ärzten und Schwestern eines Krankenhauses bedankt, lässt hier Rückschlüsse zu, die aber Vermutung bleiben müssen.
Worum geht es: Lilly ist gerade 20, als ihr ein Herzschrittmacher eingesetzt werden muss. Begonnen hatte es mit ständiger Müdigkeit, schnellem Schlappmachen bei größerer Anstrengung. Es dauert, bis Ärzte herausfinden, was die Ursache ist, zu ungewöhnlich ist dies für einen Menschen in so jungen Jahren.
Das ist auch der Kommentar, den Lilly ständig zu hören bekommt, im Krankenhaus, bei Ärzten, in der Schule, an der Uni, in ihrem gesamten Umfeld. Ein Kommentar, der sie ebenso nervt wie all die anderen, in ihren Augen dummen Sprüche, die man halt so sagt, wenn man nicht weiß, was man sagen soll.
Von ihrer Operation, ihren Krankenhausaufenthalten, den Nachwirkungen, all ihren Schmerzen, Krämpfen, ihrer psychischen Belastung erzählt Lilly in diesem Roman in Ich-Form (was noch mehr das Gefühl verstärkt, eine Biografie zu lesen). Von ihren inneren Kämpfen, der Verzweiflung, von ihrem fast nicht mehr vorhandenen Selbstwertgefühl, von den Selbstmordgedanken. Dabei scheint durch die Worte und Sätze, durch die Bilder immer ein starker Galgenhumor hervor, ein, wenn manchmal auch schwacher, Überlebenswille.
Wenn sie von ihrem Zimmernachbarinnen im Krankhaus berichtet, wenn sie die Arztbesuche schildert, dann zeigt Lilly Polanski ein großes Schreibtalent. Ohne die Menschen zu verurteilen, zeigt sie geschickt die Absurditäten, die Absonderlichkeiten, die oft gerade unter ungewohnten Umständen wie in einer Klinik zutage treten. Sie zeigt die Unfähigkeit vieler Menschen, mit Krankheiten umgehen zu können, die Unbeholfenheit.
Und sie zeigt die Liebe der Menschen, die sich um die Kranke sorgen. Ihre Mutter, die sich zerreißt, um die kranke Tochter gut versorgt zu sehen, die von ihren Sorgen fast aufgefressen wird. Wenn Lilly zuhause fast verblutet, weil sie trotz großer Schmerzen nicht zurück ins Krankenhaus wollte.
Einzig die Abschnitte, die erst sehr spät im Roman plötzlich auftauchen, in welchen sie mit ihrer gescheiterten Beziehung spricht, in Du-Form ihm von dem Gefühl erzählt, von ihm gerade in der schlimmsten Zeit verlassen worden zu sein, einzig diese Abschnitte konnten mich nicht überzeugen, nicht erreichen. Sie sind anders, in anderem Stil geschrieben, völlig ohne den oben erwähnten Humor. Sie wirken fast störend innerhalb der eigentlichen Geschichte.
Insgesamt ein sehr berührender Roman – sofern er denn einer ist. Für mich ist es ein Manko, dass dies nicht aufgeklärt wird, weder im Nachwort noch im Klappentext. Als Debütroman einer sehr jungen Autorin wirklich gelungen, mit einigen Abstrichen.
Lilly Polansky – Gratulieren müsst ihr mir nicht
Schöffling & Co., August 2024
Gebundene Ausgabe, 271 Seiten, 22,00 €