Dieser Roman, der auf wahren Begebenheiten beruht, ist erschütternd, aber keineswegs leicht zu lesen. Der Stil der in Somalia geborenen Autorin ist eine Herausforderung. Vor allem die ersten etwa 150 Seiten muss man durchhalten können.
Erzählt wird die Geschichte von Mahmood Mattan, ein Somalier, der 1952, Jahre nach seiner Ankunft, in Cardiff mehr schlecht als recht als Tagelöhner lebt. Im Hafenviertel Tiger Bay, zwischen Kneipen, heruntergekommenen Unterkünften und kleinen Läden schlägt er sich durch. Nur hin und wieder trifft er seine Ex-Frau und besucht seine Kinder.
Eines Tages wird die jüdische Ladenbesitzerin Violet Volacki brutal ermordet. Zeugen geben an, einen Schwarzen zur Tatzeit am Laden gesehen zu haben. Schnell schießt sich die ermittelnde Polizei auf Mahmood Mattan als Täter ein. Dieser, trotz seines schon jahrelangen Aufenthalts in Cardiff noch immer nicht ganz sicher in der englischen Sprache, glaubt an das britische Rechtswesen. Er ist überzeugt, dass sich seine Unschuld erweisen wird und arbeitet offen mit der Polizei zusammen. Beantwortet alle Fragen, ohne zu merken, dass es im Grunde völlig gleichgültig ist, was er aussagt, das Urteil über ihn ist längst gefallen.
Der Roman ist eine Anklage, eine starke, laute Anklage gegen Rassismus, gegen Vorurteile, ein Plädoyer für Menschlichkeit und Gerechtigkeit. Wie erwähnt handelt es sich um einen wahren Fall, auch die Namen der handelnden Personen – mit Ausnahme des Mordopfers – sind authentisch. Mahmood Mattan, man darf das in der Rezension verraten, wird am Ende verurteilt und gehenkt. Erst 46 Jahre nach der Hinrichtung wurde seine Unschuld nachträglich anerkannt und die Familie entschädigt. Und der Leichnam Mattans endlich auf einem ordentlich Friedhof bestattet.
Diese Geschichte ist erschütternd, rüttelt auf und macht sehr nachdenklich. Allerdings ist die Art, wie Nadifa Mohamed die Ereignisse schildert, schwer zu lesen. Sie schweift oft ab, sehr weit, verliert sich in unendlichen Details, verfolgt Fäden, die ins Leere laufen. Lebensgeschichten von mehr oder weniger unwichtigen Nebenfiguren werden in breiter Ausführlichkeit erzählt, so dass man den eigentlichen Handlungsstrang schon fast vergessen hat, wenn sie diesen wieder aufgreift. Die Sprache ist nicht einfach, die Sätze lang und verschachtelt, dabei die Dialoge durchsetzt mit diversen Slangausdrücken und Fetzen der Muttersprache der Menschen. Erst als der Prozess gegen Mattan beginnt, nimmt der Roman etwas mehr Fahrt auf.
Mir fiel die Lektüre dieses Romans, der für diverse Preise nominiert wurde, schwer und mein Fazit ist eher durchwachsen.
Nadifa Mohamed – Der Geist von Tiger Bay
aus dem Englischen von Susann Urban
C.H. Beck, September 2021
Gebundene Ausgabe, 367 Seiten, 24,00 €