Krimi um Schuld und Rache, der wenig Emotionen weckt
Dieser Roman, der als Thriller bezeichnet wird ohne einer zu sein, hatte es schwer, mich zu überzeugen. Denn alle auftretenden Figuren, allen voran das Opfer, waren schlicht unsympathisch. Und mit einem unsympathischen Entführungsopfer fällt es schwer mitzufühlen.
Entführt und in einem abgeschlossenen Raum aus Plexiglas gefangen gehalten wird Laura. Sie ist mit dem Rad bei Eis und Schnee unterwegs, als ein Wagen sie rammt. Als sie wieder zu sich kommt, ist sie in dieser Art Käfig eingesperrt. Der Raum ist eingerichtet wie ein normales Zimmer, mit Bücherregal, Lesesessel. Und mit einer Schaufensterpuppe, die Lauras Kleider trägt. Ihr Entführer macht ihr schnell klar, dass sie selbst den Grund für ihre Entführung herausfinden muss, will sie freikommen. Zusätzlich setzt er ein Zeitlimit, es bleiben ihr nur wenige Tage bis zu einem gewissen Datum. Es dauert, bis Laura versteht, dass der Grund für ihre Entführung in einer Schuld ihrerseits aus der Vergangenheit liegt.
In einem lange parallel laufenden Erzählstrang, dessen Bezug zu dieser Entführung bis kurz vor dem Ende völlig unklar bleibt, folgt man der Figur Ariane, eine Zoologin, die allein in einem Haus weitab im Wald lebt, nachdem ihr Mann vor einigen Jahren bei einem Flugzeugunglück starb. Sie begegnet zum einen Tom, einen jungen Mann, der von ihr fasziniert zu sein scheint. Zum anderen trifft sie die junge Mutter Iris mit ihrer Tochter Hannah, die auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Ehemann ist und der Ariane helfen will.
Eine weitere Erzählebene folgt den Ereignissen aus Sicht des ermittelnden Kommissars Lukas Johannsen, der eine Verbindung zwischen Lauras Entführung und einem früheren ungeklärten Mordfall sieht. Und schließlich gibt es noch eine weitere Perspektive, die von Lauras Mutter Imke, einer Politikerin, die durch ihre Beziehungen Einfluss nimmt auf die laufenden Ermittlungen.
All diese Perspektiven laufen lange nebeneinanderher, ohne das Bezüge erkennbar wären, außer selbstverständlich hinsichtlich des Ermittlers. All die Figuren sind vor allem mit sich selbst beschäftigt, Ariane sinniert immerzu vor sich hin, Imke zweifelt an sich und an den Fähigkeiten der Polizei, Lukas Johannsen grämt sich wegen des alten ungeklärten Falls. Und Laura ist nicht fähig, ihre Schuld zu erkennen, ist vor allem aggressiv und ichbezogen.
So sind sämtliche Figuren zwar einigermaßen plastisch dargestellt, mit ausreichend Problemen behaftet, aber eben leider auch alle durchweg unsympathisch oder doch zumindest so wenig sympathisch, dass mir bei der Lektüre ihr Schicksal schlicht egal war. Vor allem Laura ist von Seite eins an eine Figur, zu der ich keinen Zugang fand, die in mir keine Empathie, kein Mitleid und kein Mitfiebern weckte. Und auch Ariane mit ihrem merkwürdigen Verhalten blieb mir fremd. Wenn das der Fall ist, entsteht auch beim Lesen keinerlei Spannung, zumal man sich viel zu lange fragt, warum wir den Handlungen Arianes folgen, ohne das irgendein Hinweis kommt, in welcher Beziehung sie zu den anderen Charakteren steht. Dass sie eine große Bedeutung hat, ist natürlich klar, aber es dauert zu lange und es geht um zu viel anderes als um die eigentliche Handlung. Dazu die Rolle des Tom, der irgendwie überflüssig scheint, trotz seiner sich ganz am Ende überraschenderweise entschlüsselnder und doch etwas mühsam konstruiert wirkender Beziehung zu den Handelnden.
Insgesamt ist der Roman für mich trotz der Mängel zwar ein einigermaßen gut aufgebauter Krimi, ein Thriller ist er in meinen Augen aber nicht.
Quentin Peck – Minus 22 Grad
Blanvalet, Dezember 2024
Klappenbroschur, 368 Seiten, 16,00 €