Ist es eigentlich eine unabänderliche Gesetzmäßigkeit, dass mit wichtigen Preisen ausgezeichnete Bücher so oft unlesbar sind? Dieser kurze Roman ist das Debüt einer jungen Schweizer Autorin und er wurde gleich mehrfach mit Preisen, sowohl in der Schweiz wie in Deutschland, ausgezeichnet.
Doch leider passen Stil und Inhalt nicht zu den Erwartungen, die der Klappentext weckt. Dabei sind die Figuren, die uns Rebecca Gisler vorstellt, wahnsinnig plastisch und lebendig gezeichnet, man steht ihnen von Angesicht zu Angesicht gegenüber, erlebt ihre Macken und ihre Absonderlichkeiten. Aber die Art, wie die Autorin schreibt, ist sehr anstrengend.
Das liegt vor allem an den – und das ist wörtlich zu verstehen – seitenlangen Sätzen. Da gibt es kaum Sätze, die mal kürzer sind als eine halbe oder dreiviertel Seite, da gibt es viele Sätze, die länger sind als eine ganz Seite. In diesen verliert man sich, am Ende des Satzes hat man längst vergessen, worum es am Anfang überhaupt ging.
Die Handlung ist einigermaßen verworren erzählt, was jedoch nicht wirklich ein Problem ist. Man kann den Zeitsprüngen, den Rückblicken und Nacherzählung früherer Ereignisse einigermaßen gut folgen. Geschildert wird das Zusammenleben einer jungen Frau und ihres Bruders mit dem ziemlich absonderlichen Onkel. Schon als Kinder haben die beiden viele Ferien beim Onkel verbracht, doch nun ist er schwer krank und kaum noch imstande, sich selbst zu versorgen. Dabei ist er ein ausgesprochener Eigenbrötler, fast ein Eremit. Nichte und Neffe sind aber ebenfalls keine unproblematischen Charaktere, haben ihre eigenen Probleme und Probleme miteinander.
All das wird in geradezu erratischer, keineswegs chronologischer Weise in eben den oben erwähnen langen Sätzen erzählt. Das ist unsagbar anstrengend. Dennoch bekommt man Zugang zu den Figuren, insbesondere der in Ich-Form erzählenden Nichte. Wenn sie über ihre Beziehung zur Mutter und den anderen Verwandten berichtet, dann berührt das. Allerdings wäre ein lesbarerer Stil dem Verständnis und der Empathie durchaus zuträglicher gewesen.
So hinterlässt der Roman am Ende doch ein Gefühl der Unzufriedenheit.
Rebecca Gisler – Vom Onkel
atlantis, März 2022
Gebundene Ausgabe, 137 Seiten, 22,00 €