Wer hätte gedacht, dass ein Buch, ein Atlas über Grenzen, so spannend und interessant sein könnte. Nun sind Grenzen auch gerade jetzt und eigentlich immer ein spannendes, weil hochpolitisches und damit brisantes Thema.
Dieser Atlas untergliedert die Grenzen, vor denen wir in unserer Welt stehen, in verschiedene Gruppen. So gibt es historisch gewachsene Grenzen, Meere oder Flüsse, die als Grenzen fungieren, es gibt Mauern und Stacheldrahtzäune als Grenzabsperrungen und es gibt skurrile, ganz spezielle Grenzen. Vergessen werden sollten dabei auch nicht die umstrittenen Grenzen, die zu gefährlichen Streitigkeiten führen können.
Mit vielen Karten, Erklärungen und Legenden, mit Hintergrundwissen und Erläuterungen der geschichtlichen Zusammenhänge stellt dieses Buch eine Welt dar, die wir so vermutlich noch nicht betrachtet haben. Mir jedenfalls waren viele dieser gezeigten Grenzen und ihre besondere Form oder Bedeutung bislang so nicht bewusst. Hinzu kommen all die Informationen, die die Autoren – Journalistin und Geografin die eine, Politikwissenschafter der andere – hier zusammengetragen haben.
So erzählen sie von kuriosen Grenzverläufen, von Hotels, die über einer Grenze gebaut wurden, erklären, wo die Grenzen in einem Grenzfluss verlaufen können, zeigen die Verschiebung von Grenzen im Laufe der Zeit. Sie schildern die Aufteilung der arktischen Gebiete, beschreiben den komplizierten Verlauf der Datumsgrenze und erklären, welche „Linien“ es gab oder noch heute gibt. Damit sind beispielsweise Verteidigungslinien gemeint oder Demarkations- oder Befestigungslinien.
Es ist fast nicht möglich, den Inhalt dieses umfassenden Buchs, das viel mehr ist als die Aneinanderreihung von Karten, in einem einmaligen Durchgang zu erfassen. Es ist mit Sicherheit ein Werk, dass man immer wieder in die Hand nimmt. Auch und gerade heute, wo Grenzen nicht mehr unverrückbar zu sein scheinen.
Interessant ist, dass der deutsche Titel des Buchs so gar nicht dem französischen Original entspricht, der übersetzt etwa lauten würde „Atlas der Grenzen, Mauern, Konflikte, Migrationen“. Da ist „Atlas der Unordnung“ doch entschieden prägnanter und aussagekräftiger.
Delphine Papin & Bruno Tertrais – Atlas der Unordnung
wbg Theiss, April 2022
Gebundene Ausgabe, 176 Seiten, 28,00 €