Mach dir ein Bild! So könnte der Untertitel dieses Ratgebers lauten. Dabei ist der Tipp, sich von den Figuren in deinem Roman oder deiner Geschichte ein Bild zu machen, ja nicht neu. Auch ich habe das mal versucht, dem Vorschlag eines anderen Bloggers folgend, und suchte mir dafür im Internet Fotos von Menschen, die meinen Vorstellungen meiner Figuren entsprachen.
Jedoch machte ich dabei, zumindest für mich, einen gravierenden Fehler: Als ich Fotos aller Figuren für einen Text beisammenhatte, waren es vor allem bekannte Gesichter aus Film und Fernsehen. Bei mir auf dem Pinboard tummelte sich Tom Hanks neben einer deutschen Journalistin und einer französischen Schauspielerin. Das Problem dabei: das waren plötzlich nicht mehr meine Charaktere, sondern das waren sie selbst. Also mein männlicher Protagonist agierte und sprach in meinem Kopf wie Tom Hanks in seinen Filmrollen und so weiter.
Also vom Ansatz her ist es eine gute Idee, dir ein Bild deiner Figur zu machen. Man sollte vielleicht nur davon Abstand nehmen, bekannte Gesichter zu verwenden. Das Internet ist doch voll von Fotos von allen möglichen Menschen, deren Konterfei sich für die Ausarbeitung unserer Figuren anbietet. Das zumindest habe ich aus meinem Versuch gelernt.
Die Alternative zu meiner oben geschilderten, problembeladenen Methode beschreibt Ingrid Werner in ihrem Ratgeber. Der Unterschied besteht darin, dass man eben nicht die Figur an sich bzw. alleine abbildet, sondern auch ihr Umfeld, ihre Eigenschaften inklusive ihrer Hobbys, ihrer Ticks und Vorlieben und weitere Aspekte ihres Charakters.
Die Autorin, die auch Schreibdozentin ist und selbst eigene Bücher veröffentlicht hat, verwendet ihre Methode, um intuitiv ihre Figuren zu erarbeiten. Dabei ergeben sich ganz überraschende Eigenheiten, unbekannte Facetten in den Figuren, die wiederum in den Roman oder die Geschichte einfließen und dieser möglicherweise eine unerwartete Wendung geben.
Ingrid Werner beschreibt in ihrem Ratgeber sehr detailliert, wie man beim Gestalten der CharakterCards (Anmerkung: hier stört mich schon die Mischung aus deutscher und englischer Schreibweise, auch wenn das vermutlich der Markengestaltung geschuldet ist) vorgehen soll. So gibt es genaue Vorgaben zu den Maßen der Karten, auf welchen dann die gesammelten Bilder zu einer Collage zusammengefasst werden.
Man beginnt aber zuerst einmal mit dem Sammeln von Bildern, ganz intuitiv und aufs Geratewohl. So finden sich nach und nach der Hintergrund, vielleicht ein Foto eines Gegenstandes, ein Abbild der Figur und anderes mehr. All dies wird dann auf besagter Karte arrangiert. Dabei, und das zeigt die Autorin durch zahlreiche Beispiele, macht es gewaltige Unterschiede, in welchem Verhältnis Figur und Gegenstände zueinander angeordnet werden.
Natürlich habe ich diese Methode sofort ausprobiert. Und zwar, dem Rat der Autorin folgend, für eine Nebenfigur. Und siehe da, bereits bei der Suche nach passenden Zeitungsausschnitten entstand in meinem Kopf plötzlich eine Vorstellung von der Figur. Ich hatte mit einem Mal ein „Gefühl“ für diesen Mann, zu dem ich bis dahin keinen Zugang gefunden hatte.
Allerdings empfand ich es schwer, bei der Suche nach passendem Material in Zeitungen und Zeitschriften so intuitiv vorzugehen, wie Ingrid Werner das vorgibt. Denn natürlich hat man doch, zumindest ansatzweise, eine Idee von der Person, von ihrem Charakter, denn sonst würde es sie im eigenen Text ja nicht geben. Also sucht man doch schon nach passenden Bildern, um diese Idee zu untermauern. Doch das tut der Methode keinerlei Abbruch. Und vielleicht liegt es ja auch nur an meiner mangelnden Intuition.
Jedoch, so sehe ich es, bietet sich die Methode der CharakterCards daher vielleicht gerade für Nebenfiguren an, von denen die Vorstellungen in der Regel vage sind, ungenauer als bei den Protagonistinnen, die die Handlung tragen und daher in der Regel ohnehin noch vor dem Plot existieren.
Ergänzend zu der Beschreibung der Methode präsentiert Ingrid Werner in ihrem Buch noch zahlreiche Zitate anderer Autor:innen, die mit der Vorgehensweise gute Erfahrungen gemacht haben. Obwohl das natürlich recht interessant ist, waren es in meinen Augen etwas zu viele, bei denen sich auch viele Aussagen wiederholten. Nett, um das Buch zu füllen, aber wenig nutzbringend.
Mein Fazit: Neben vielen anderen Ansätzen eine weitere, mögliche Methode, um sich den eigenen Figuren anzunähern, sofern man ihnen noch etwas distanziert gegenübersteht. Inwieweit sie für jeden hilfreich ist, muss man einfach selbst ausprobieren.
Ingrid Werner – CharakterCards
BoD, März 2021
Taschenbuch, 76 Seiten, 12,00