Erschütternde Berichte über unschuldig Verurteilte im amerikanischen Rechtssystem
Über vieles, was man über Amerika erfährt, kann man nur den Kopf schütteln. Wenn man aber dieses Buch liest, kommt man aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus.
Der durch seine bemerkenswert guten Gerichtsromane weltberühmte John Grisham und sein langjähriger Freund, der Gründer einer Non-Profit-Organisation, die sich für zu Unrecht Verurteilte einsetzt, haben gemeinsam zehn Geschichten aufgezeichnet. Wahre Geschichten, authentisch und akribisch recherchiert, über Fehlurteile, über Korruption, Vorurteile, Rassismus, Ignoranz, Intoleranz.
Es sind wahrhaft erschütternde Berichte über Fälle aus den vergangenen Jahrzehnten. Im Wechsel erzählen die beiden Männer detailliert über die Vorgänge, die immer wieder dazu führen, dass unschuldige Menschen im Gefängnis landen, dass sie falsche Geständnisse ablegen, von den verhörenden Ermittlern massiv unter Druck gesetzt.
Da ist der Fall der Vergewaltigung und der Ermordung einer jungen Ehefrau. Der wahre Täter sitzt später wegen einer anderen Tat in Haft, berichtet über das, was er getan hat. Dennoch verfolgen die Polizisten hartnäckig andere Männer, haben schließlich mehr als 8 Männer in U-Haft, Männer, die nachweislich zum Tatzeitpunkt ganz woanders waren, die keinerlei Motiv oder Gelegenheit zur Tat hatten. Diese unschuldigen Männer verbringen teils viele Jahre, ja Jahrzehnte im Gefängnis, bis endlich ihren Beteuerungen Gehör geschenkt wird und ihnen Gerechtigkeit widerfährt. Der wahre Täter aber wird nie für diese Tat bestraft.
Da ist der besonders schreckliche Fall des Vaters dreier kleiner Kinder, die bei einem Brand im Haus der Familie ums Leben kommen. Der Vater, der während des Feuers anwesend war, konnte seine Kinder nicht mehr rechtzeitig retten. Ein Brandermittler, der sich etwas darauf zugutehält, eine Rekordzahl an Brandstiftungen nachgewiesen zu haben, behauptet in seinem Gutachten, es sei Brandbeschleuniger verwendet worden und der Vater habe das Haus angezündet und damit willentlich seine eigenen Kinder getötet. Der Mann wurde zum Tode verurteilt und schließlich, trotz all seiner Unschuldsbeteuerungen, mehr als zwölf Jahre nach dem Brand, hingerichtet. Viel später wurde dann dank neuer Gutachten seine Unschuld doch noch bewiesen.
Das sind nur zwei Beispiele von Fällen, wie sie in diesem lesenswerten Buch beschrieben werden. Mal berichtet John Grisham in seinem gewohnt spannenden Stil über einen dieser Fälle, mal Jim McCloskey, dessen Beschreibungen nicht weniger berührend sind.
Es wiederholt sich ständig, diese Fälle von korrupten Polizisten, Vorverurteilungen durch schlampige Richter, Rassismus, der stets zuerst die Farbigen verdächtigt, Gutachter, denen Quantität vor Qualität geht. Dadurch lesen sich diese Berichte nicht immer flüssig, auch weil stets sehr ins Detail gegangen wird, jeder Mensch, der in den Fall involviert ist, wird erwähnt, jedes Verhör beschrieben, jede Zeugenaussage erwähnt.
Das macht die Lektüre anstrengend, so dass man sie sich besser in kleine Portionen einteilt. Mehrere solcher erschütternde Berichte hintereinander zu lesen ist kaum auszuhalten.
Dennoch ein sehr wichtiges Buch, das auch die Frage aufkommen lässt, wie es mit diesen Dingen eigentlich in unserem eigenen Land bestellt ist.
John Grisham & Jim McCloskey – Unschuldig
aus dem Amerikanischen von Bea Reiter und Imke Walsh-Araya
Heyne, November 2024
Gebundene Ausgabe, 462 Seiten, 24,00 €