Es kann sich sicher niemand vorstellen, wie es ist, als Kind eines hochrangigen Nazi-Verbrechers aufzuwachsen und zu leben. Den Namen eines solchen Mannes zu tragen, die Taten zu kennen und das ein Leben lang mit sich herumzutragen. Wenn man dazu noch in der eigenen Familie eher Verständnis für den Täter als für die Opfer findet, muss es geradezu grausam sein.
Solch ein Leben hat, so ergibt es sich für mich aufgrund des vorliegenden Buchs, Niklas Frank geführt.
Der Sohn von Hans Frank, dem sogenannten „Schlächter von Polen“, hat all das bereits in etlichen Büchern aufgearbeitet. Er und seine Geschwister sind damit ganz unterschiedlich umgegangen. Niklas Frank, der Jüngste und zum Zeitpunkt der Nürnberger Prozesse gerade einmal sieben Jahre alt, hat da wohl die größte Distanz zum Vater oder, anders ausgedrückt, die wenigsten Erinnerungen an jenen. Vor allem die Erinnerungen an die Besuche im Gefängnis während der Prozesse in Nürnberg finden sich in diesem Buch.
Gerade aber diese Distanz stelle ich in Frage nach der Lektüre dieses Buches, des letzten in einer Reihe von Büchern, in denen Niklas Frank mit seiner Familie abrechnet. Ja, mit der gesamten Familie, denn auch die Mutter verurteilt er, ebenso wie den älteren Bruder, der noch auf dem Sterbebett seine Liebe zum Vater kundtat.
Durch ein Radiointerview wurde ich auf das Buch aufmerksam. Darin klang Niklas Frank für mich wesentlich distanzierter, wesentlich rationaler als den Anschein hat, wenn man den Text liest. Der, so wirkt es auf mich, etwas wie eine finale Abrechnung mit der Vergangenheit ist.
Es fällt sehr schwer, das Buch zu lesen. Ich habe es mehrmals weggelegt und mich dann überwunden, weiterzulesen. Aber irgendwann wurde es zu viel. Zum einen ist es eine unerträgliche, weil sehr persönliche und sehr einseitige Darstellung der Geschehnisse. Zum anderen werden unzählige Briefe des Vaters, der Mutter und der Geschwister, sowie anderer Beteiligter, wörtlich zitiert. Das ermüdet, da man die oft sehr spezifischen und privaten Details nicht kennt und so die Zusammenhänge nicht versteht. Darüber hinaus ist der Stil in diesen Brief verwirrend, erratisch und schwer zu verkraften.
Mir ist dieses Buch zu gefühlsbetont, zu überladen von den Animositäten, den Vorwürfen des Sohnes gegenüber den Eltern. Es fehlt mir die oben erwähnte Distanz, die natürlich andererseits gar nicht bestehen kann in dem Buch eines so eng Eingebundenen. Wenn man jedoch bedenkt, dass der Autor sein Buch so viele Jahrzehnte nach den Ereignissen schrieb, dann sollte man eben genau diesen Abstand erwarten dürfen, meine ich. Wenn nicht Abstand, so aber doch eine gewisse Akzeptanz dessen, was nach all den Jahrzehnten nicht mehr änderbar ist, eine Art Abfinden mit dem, was sein Vater war. Damit meine ich ganz sicher nicht die historischen Begebenheiten, die Verbrechen, die Hans Frank beging. Sondern ich beziehe mich auf die persönlichen Befindlichkeiten des Autors, der mir besonders hinsichtlich Mutter und Bruder recht nachtragend scheint.
Das mag ich nicht bewerten, sein Buch hingegen schon. Für mich ist dieses Buch nicht lesbar, weil zu persönlich.
Niklas Frank – Meine Familie und ihr Henker
Dietz Verlag, August 2021
Klappenbroschur, 282 Seiten, 24,00 €