Tagebücher in Art einer Graphic Novel – Kriegseindrücke aus Kiew und St. Petersburg
Die Autorin und vor allem Illustratorin dieses Buches ist eine vielfach preisgekrönte Deutsche mit Wohnsitz in New York. Am ersten Tag des Angriffs Russlands auf die Ukraine hat sie Kontakt aufgenommen zu zwei ihr bisher unbekannten Personen, einer Journalistin in Kiew und einem Künstler in Russland.
Beide haben ihr über 52 Wochen, während des ersten Jahres der Kriegshandlungen, ihre Gefühle, ihre Eindrücke, ihre Sorgen und kleinen Freuden geschildert. Entstanden ist ein einerseits sehr bedrückendes und berührendes Buch, andererseits stellt man sich bei und nach der Lektüre auch noch immer viele Fragen.
Die beiden Menschen, die sich Nora Krug derart öffneten und sehr persönliche Dinge von sich erzählten, werden zu ihrem Schutz nur als K. und D. bezeichnet und alles, was sie identifizieren könnte, wird verschwiegen.
K. ist Journalistin mit zwei Kindern, die sie nach Dänemark zu ihrer Mutter bringen kann. Was zur Folge hat, dass sie in den folgenden Monaten ständig zwischen dem friedlichen Zufluchtsort und dem kriegsgebeutelten Heimatland hin und her reist, hin und her gerissen ist. Ihr Mann darf nur unter Auflagen die Ukraine verlassen. K. berichtet als Reporterin von der Front im Osten, im Donbass, sie wird persönlich betroffen, als Freunde von ihr Soldat werden, an der Front sterben.
D. ist Künstler, er hat ebenfalls zwei Kinder. Er ist ein sehr sensibler Mann, völlig erschüttert von der Tatsache, dass sein Russland ein anderes Land überfällt. Doch er traut sich nicht, seine Meinung öffentlich zu machen, hat Angst vor Repression, vor der Einberufung. Ständig reist er aus Russland aus, dann wieder ein, mal nach Riga, mal nach Frankreich, mal in die Türkei. Er hat wenige Menschen, mit denen er sich ehrlich austauschen kann. Seine Situation macht ihm schwer zu schaffen.
So berührend und erschütternd die Schilderungen der Journalistin K. sind, so wenig hat mich, ehrlich gesagt, das Selbstmitleid des Künstlers D. beeindruckt, auch wenn man sehr wohl Verständnis hat für die Hilflosigkeit derjenigen, die nichts gegen ihr Regime tun können. Jedoch, gerade im Vergleich mit den wirklichen Schrecken, den tatsächlichen Gefahren und vor allem der Tragik der Ukrainerin, wirkt das permanente Lamento des Russen unangebracht, unbegründet, ja unberechtigt.
Vielleicht war das gerade die Absicht der Autorin, die dieses Buch so gelungen umgesetzt hat. Jeweils eine Doppelseite gehört einer Woche dieses Jahres, einander gegenübergestellt immer die Eintragungen Ks. und Ds. Einfügt kleine, manchmal sehr detaillierte, manchmal symbolhafte Zeichnungen der Autorin, immer mit Bezug zu dem Erzählten.
Fast am meisten allerdings beeindruckt mich das Vorwort, das Nora Krug ihrem Buch voranstellte. Hier schildert sie die Entstehung des Buchs, erläutert ihre Vorgehensweise und macht deutlich, was sie mit dem Buch erreichen möchte. „Diejenigen von uns, die weit entfernt vom Kriegsgeschehen leben und es nur von außen betrachten, dürfen sich nicht damit begnügen sich einzugestehen, dass sie nicht wissen, wie sie sich selbst angesichts eines tyrannischen Regimes verhalten würden. Das Eingeständnis unserer eigenen Angst sollte nur den Ausgangspunkt einer eingehenderen, kritischen inneren Auseinandersetzung darstellen.“ (S. 11).
Nora Krug – Im Krieg
aus dem Englischen von Alexander Weber
Penguin, Februar 2024
Gebundene Ausgabe, 128 Seiten, 28,00 €