Raquel Erdtmann – Joseph Süßkind Oppenheimer

⭐⭐⭐⭐

Ein Justizskandal vor 300 Jahren, der bis heute nachwirkt

Wer, wenn nicht eine Gerichtsreporterin, könnte diese Geschichte erzählen. Die Geschichte des Juden Joseph Süs Oppenheimer, der 1738 nach einem Schauprozess hingerichtet wurde und später als literarische Figur „Jud Süß“ unter anderem durch Lion Feuchtwanger Berühmtheit erlangte.

Akribisch recherchierte Details, aufwändig nachgezeichnete Lebenswege und erschütternd deutliche Beschreibungen der Judenfeindlichkeit zeichnen dieses Buch aus. Raquel Erdtmann schildert das Leben des Mannes, der seiner Zeit um einige Jahrhunderte voraus war, der sich nicht verbiegen lassen wollte und der sich weder den Vorschriften noch den Einschränkungen, die den Juden auferlegt waren, beugen wollte.

Kein Wunder also, dass er sich gerade bei denen unbeliebt machte, die diese Vorschriften aufgestellt hatten. Joseph Süs Oppenheimer war erfolgreicher Unternehmer, der weit modernere Methoden der Buchführung, der Finanzverwaltung und der Finanzkontrolle anwendete, als damals üblich war. Er wurde schließlich Finanzrat des Herzogs von Württemberg, ein Amt, das er nicht wollte und das er am Ende mit dem Leben bezahlte.

In die Lebensgeschichte Oppenheimers flicht die Autorin immer wieder Hintergrundinformationen über jüdisches Leben, jüdische Riten und Gebräuche ein. Sie beschreibt die Umstände, unter denen Juden in den Gettos zu leben gezwungen waren, wie und wo sie arbeiten durften und welchen Anfeindungen sie ausgesetzt waren. Immer wieder setzt sich Oppenheimer darüber hinweg, so beispielsweise, als er in Frankfurt am Main sein Geschäftsgebäude weit außerhalb des Judenviertels bezieht und sein Unternehmen aufbaut.

Besonders unbeliebt macht er sich aber durch seine Unbestechlichkeit und seinen vehementen Kampf gegen Korruption und Ämtermissbrauch. All das lassen ihn seine Gegner büßen, als der Herzog stirbt und er so dessen Schutz verliert. Oppenheimer kommt in Haft, unter unmenschlichen Bedingungen, doch weder seinen Stolz noch seine Hoffnung auf Gerechtigkeit verliert er. Bis zuletzt, als seine Hinrichtung zu einem Spektakel wird.

Die Schilderungen des Prozesses, sein Vegetieren über viele Monate in dem verließartigen Gefängnis, sein Glauben an Gerechtigkeit und schließlich die unmenschliche Dreistigkeit, mit der eben dieser Gerechtigkeit Hohn gesprochen wurde während des Prozesses erschüttern sehr. Die Lektüre dieses Buches ist spannend wie ein Krimi, informativ und fesselnd, berührend und doch auch manchmal amüsant, wenn der Jude Oppenheimer den Katholiken und Protestanten gleichermaßen Hohn lacht. Raquel Erdtmann schreibt flüssig, oft mit einem Augenzwinkern, ohne zu beschönigen, aber auch ohne anzuklagen.

Keine leichte Lektüre, mit manchen Längen, aber ungemein interessant – auch, weil thematisch leider immer noch oder wieder aktuell.

Raquel Erdmann – Joseph Süßkind Oppenheimer
Steidl, April 2024
Gebundene Ausgabe, 272 Seiten, 24,00 €

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