Nicht jede:r kann oder möchte sich für den eigenen Roman, die Kurzgeschichte, den Artikel oder das Sachbuch ein professionelles Lektorat leisten. Also muss das Lektorieren selbst erledigt werden. Und dabei hilft dieser kurze, aber praxisnahe Ratgeber der erfahrenen Autorin. Sylvia Englert ist nicht nur Journalistin und Lektorin, sondern auch selbst Verfasserin diverser Romane und Drehbücher.
Sehr systematisch geht sie vor bei diesen Ratschlägen für das Lektorieren eigener Texte. Drei Schritte sind es, die man gehen muss und die sie im Einzelnen beschreibt in ihrem Buch. Dabei unterscheidet sie jeweils für die verschiedenen Gebiete Roman, Sachbuch, Journalistik, letzteres sogar nochmals gegliedert nach Artikel, Reportage, Kommentar und Rezension.
Vor dem ersten Schritt plädiert Sylvia Englert aber erst einmal für Abstand. Den eigenen Text ruhen lassen, Distanz gewinnen, bevor man sich ans Lektorat setzt. Das ist zwar für journalistische Artikel sicher weniger möglich, für Romane insbesondere aber durchaus wichtig. Ohnehin ist es schwer bis unmöglich, den eigenen Romantext mit der nötigen Objektivität oder Distanz zu lesen bzw. zu überarbeiten. Wenn man dies jedoch zu unmittelbar nach Beendigung des Schreibens angeht, fällt es ungleich schwerer, Fehler, Unstimmigkeiten, Logikmängel und ähnliches zu erkennen. Und eben nicht nur diese Dinge zu sehen, sondern sie auch zu beheben.
Der erste Durchgang beim Lektorat nimmt sich die Struktur des Textes vor: die Figuren, den Plot, die Szenen, die Perspektive. Einen ganzen, umfassenden Fragenkatalog gilt es abzuarbeiten, wobei dieser Katalog keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, müssen doch, je nach Textart gegebenenfalls noch viele weitere gestellt werden. Die Autorin weist dabei darauf hin, dass man mit zunehmender Erfahrung diese Fragen im Grunde bereits beim Schreiben im Kopf haben kann und sollte.
Nach dem ersten folgt als zweiter Schritt der sogenannte Schliff. Hier geht man schon tiefer hinein in den Text, erspürt den Stil, passt er zum Genre, passt er zu den jeweiligen Figuren. Man „hört“ hinein in die Dialoge, klingen sie authentisch, lebensecht, hat jede Figur ihre eigene Art zu sprechen. Gerade hier ist lautes Vorlesen des eigenen Textes ungemein hilfreich.
Die Sprache wird geprüft, Füllwörter erkannt und gestrichen, überzählige Adjektive und Adverbien gestrichen, schwache durch starke Verben ersetzt, Passivsätze in aktive umgewandelt, Infodumps enttarnt und entschärft und vieles mehr. Sogar der Formatierung nimmt Sylvia Englert sich an in ihrem Ratgeber, etwas, das leider viele Autor:innen immer wieder eher schludrig erledigen.
Und schließlich der dritte Schritt beschäftigt sich mit dem Feedback von Testleser:innen. Diese sollte man sich sorgfältig auswählen und ihnen auch präzise Fragen stellen, anhand derer man ihre Kommentare und Rückmeldungen dann erst richtig einordnen kann. Ein „Echt gut, gefällt mir“, oder ein „Toll, was du alles kannst“, ist zwar nett, aber wenig hilfreich. Erst wenn man konkrete und konstruktive Kritik erhält, kann man mit ihr arbeiten und sie umsetzen beim letzten Durchgang durch den Roman, die Kurzgeschichte oder das Sachbuch.
Was mir als bekennende Listensüchtige besonders gut gefällt, sind die Checklisten, die Sylvia Englert in ihrem Ratgeber zur Verfügung stellt. Hier sind tatsächlich all die wichtigen Fragen aufgelistet, anhand derer eine Autorin ihr Werk lektorieren kann. Meiner Meinung nach macht es durchaus Sinn, sich diese Listen schon vor Beginn des Romans zu Gemüte zu führen, während des Schreibprozesses öfter mal daran zu denken schadet dann auch nicht. Fragen wie „Haben Ihre Hauptfiguren starke, klare Ziele?“ „Gibt es reichlich Konflikte?“, „Entwickeln sich die Figuren?“, „Passt die Perspektive?“ (S. 75-76) sind entscheidend für die Qualität eines Romans und gehören immer wieder beantwortet. Hier ist Ehrlichkeit sich selbst gegenüber entscheidend. Ohne diese funktioniert meines Erachtens ein Selbst-Lektorat nicht. Nur wer bereit ist, den Text zu überarbeiten, dem wird dies auch gelingen. Wer meint, die eigenen Texte seien stets druckreif, bedürfen nicht des Feilens und Polierens, der scheitert, fürchte ich, beim Lektorieren der eigenen Werke.
Beim Gelingen des Lektorats eines selbstverfassten Romans, eines Sachbuchs oder einer Erzählung hilft mit Sicherheit dieser Ratgeber von Sylvia Englert, den man am besten stets neben sich liegen hat.
Sylvia Englert – So lektorieren Sie Ihre Texte: Verbessern durch Überarbeiten
Autorenhaus Verlag, 2016
Taschenbuch, 153 Seiten, 14,95 €