Der erste Gedanke, der mir in den Sinn kam, als ich das Buch von Torsten Körner in Händen hielt, war: Wieso schreibt ein solches Buch ein Mann? Mein Sohn stellte genau dieselbe Frage, als er das Buch bei mir liegen sah.
Ja, wieso wurde das Buch, das so wichtig und richtig ist, von einem Mann geschrieben? Ich habe keine Ahnung, ob es ähnliche Bücher schon gibt, die von Frauen verfasst wurden, falls ja, kenne ich sie nicht. Im Laufe der Lektüre schwankte ich dann immer wieder hin und her, ob es tatsächlich richtiger, besser wäre, ein solches Thema durch die Feder einer Frau zu be-schreiben. Vermutlich wäre ein „neutrales“ Geschlecht der perfekte Verfasser eines Buches über den Kampf der Frauen gegen die Vorherrrschaft der Männer in der Politik. Da es das aber leider bekanntlich nicht gibt, ist es gut, dass es überhaupt geschrieben wurde, dieses Buch.
Torsten Körner, Journalist und Autor, zeichnet verantwortlich für einige Bestseller-Biographien sowie für die Dokumentarfilme „Angela Merkel – die Unerwartete“ und „Drei Tage im September“, der für den Deutschen Fernsehpreis nominiert war. Man darf also mit Fug und Recht davon ausgehen, dass er sein Handwerk versteht und den Beweis erbringt das vorliegende Buch auf jeder Seite.
Die Recherchen, die erforderlich waren, um so fundiert über die Frauen im Parlament der Bundesrepublik berichten zu können, müssen enorm gewesen sein. Der Autor zitiert beispielsweise aus vielen Debatten im Plenum, noch zu Bonner Zeiten wie auch bereits im Reichstag in Berlin. Die Schilderungen, welchen Angriffen, Verunglimpfungen und welchem Hohn und Spott Frauen im Bundestag besonders zu Beginn, in den 50er und 60er Jahren, aber durchaus auch heute noch, ausgesetzt sind, haben mir bei der Lektüre mehrmals die Zornröte ins Gesicht getrieben. Mit welchem Chauvinismus, welcher Arroganz und Selbstüberschätzung die Männer der Bonner Republik sich den Frauen überlegen wähnten, das ist unfassbar. Und fast das einzige, das die Frauen dem entgegensetzten und was andererseits die Macht der Männer nur noch verstärkte, war ihre Geduld: „Der Titel des Films von Cristina Perincioli: ‚Die Macht der Männer ist die Geduld der Frauen‘ (1978) machte nun wieder häufiger die Runde.“ (S. 180)
Am Beispiel vieler namhafter Politikerinnen der letzten 70 Jahre (und übrigens auch Journalistinnen), die den Kampf um ihre eigene Macht in der Politik aufnahmen, wie z.B. Elisabeth Schwarzhaupt, Marie-Elisabeth Lüders, Ursula Männle, Christa Nickels, Rita Süssmuth, Petra Kelly und vielen anderen gelingt dem Autor in meinen Augen vor allem eines: er zeigt, welche Angst zu allen Zeiten die Männer hatten vor den Frauen, vor der Macht der Frau, die ganz anders Politik betreibt als ein Mann. Die vielen wörtlich zitierten, teils wirklich unflätigen Zwischenrufe der Männer in den Bundestagsdebatten, die die Frauen nicht auf der Themenebene angriffen, sondern sich über deren Aussehen, ihre Lebenssituation oder ihre Weiblichkeit mokierten, entlarven die Männer viel eher, als dass sie den Frauen Tort antun. Das ging und geht dann durchaus bis hin zu sexistischen Übergriffen, wie sie heutzutage unter dem #MeToo-Begriff zusammengefasst werden.
Trotzdem lässt mir das Buch auch zwiegespalten zurück, denn, obwohl es wirklich akribisch aufführt, wo Frauen in der Politik zurückgedrängt, verunglimpft, beschädigt und vertrieben wurden und werden, ist es gleichzeitig seltsam distanziert. Der Autor listet auf, berichtet, beschreibt. Doch ich vermisse ein wenig die etwas klarere Verurteilung des männlichen Verhaltens.
Dabei lässt er auch andere Bereiche, in denen die Frauen unablässig und heute nicht weniger als vor 50 Jahren in den Hintergrund gedrängt werden, nicht unerwähnt. Einprägsam finde ich darunter das Beispiel der nach Politikerinnen benannten Straßen in deutschen Großstädten. „Auf den Straßen wirkt, kämpft und rollt der Mann. … Bei der letzten Zählung in München (2009) waren von 6.129 Straßen lediglich 288 nach Frauen benannt; im gleichen Jahr war das Verhältnis in Hamburg noch einseitiger: Von 8.000 Straßen trugen nur 275 den Namen einer Frau.“ (S. 262)
Etwa nach der Hälfte wandelt sich das Buch von der Beschreibung der Situation von Politikerinnen allgemein, anhand vieler Beispiele aus Debatten, Talkrunden und Parteitagstreffen, zu einer Reihe von Biographien einzelner Frauen, so von Rita Süssmuth, Renate Schmidt oder natürlich Angela Merkel. Und – das hätte es meines Erachtens nicht gebraucht in einem Buch über Politikerinnen – von Hannelore Kohl. Natürlich sind diese Lebensläufe sehr interessant und plastische Beispiele der männlichen Vorherrschaft bis in dieses Jahrhundert. Dennoch sind es eben (nur) die Lebensläufe einzelner und sehr prägnanter, bekannter Frauen. Die Hinterbänklerinnen, die mit Sicherheit genauso hart, wenn nicht härter um Anerkennung und Profil kämpfen müssen wie die berühmteren Frauen, kommen dadurch im Buch von Torsten Körner etwas zu kurz.
Dennoch ist es ein wirklich wichtiges Buch, das es meines Erachtens unbedingt gebraucht hat. Aus der Feder einer Frau wäre es sicherlich jedoch ein völlig anderes Buch geworden.
Torsten Körner: In der Männerrepublik – Wie Frauen die Politik eroberten
Kiepenheuer & Witsch, Februar 2020
Gebundene Ausgabe, 362 Seiten, 22,00 €