Ein Road-Trip der anderen Art: Unterwegs mit einer Urne.
Annie Stanley weiß nicht wirklich etwas mit sich anzufangen. Als ihr Vater stirbt, kann sie die Wünsche seiner zweiten Frau hinsichtlich des Umgangs mit seiner Asche nicht akzeptieren und entführt kurzerhand die Urne. Ganz spontan und ohne jeden Plan setzt sie sich in einen Zug und fährt nach Norden.
Schon als Kind hat sie zusammen mit ihrem Vater die Seewetterberichte für die Nordsee gehört, die sich immer auf einzelne Wetterstationen bzw. Küstenabschnitte beziehen. Da ihr auch in ihrer jetzigen Situation diese nächtlichen Radiosendungen Ruhe geben, beschließt sie kurzerhand, all diese Küstenabschnitte rund um die Britische Insel zu bereisen, immer mit der Urne mit der Asche ihres Vater im Gepäck. Dabei ergibt es sich, dass sie an nahezu jeder ihrer Stationen auf Menschen aus ihrer Vergangenheit trifft und dadurch in die Lage versetzt wird, vieles aufzuarbeiten.
Einer dieser Menschen ist aber auch ihre eigene Schwester, auch mit ihr hat sie eines aufzuarbeiten. Ebenso wie in der Beziehung zu ihrer Stiefmutter und ihrer Stiefschwester und deren Familie. Auch über sich selbst, ihre Wünsche und vor allem ihre Zukunft muss sie sich klar werden.
Diese Reise beschreibt Sue Teddern in ihrem Roman mit Wärme und Empathie, mit leichten Augenzwinkern an der einen und sensiblem Einfühlungsvermögen an der anderen Stelle. Annie begegnet nicht nur alten Bekannten, sie lernt auch neue Menschen kennen auf ihrer Reise. All diese Figuren zeichnet die Autorin präzise und mit guter Beobachtungsgabe. An manchen Punkten war mir die Geschichte etwas zu gefühlvoll, an anderer etwas zu sehr in die Länge gezogen. Alles in allem jedoch ist dieser Roman sehr anrührend, voller interessanter und teils skurriler Figuren und einem angenehmen Humor.
Durchaus empfehlenswert.
Sue Teddern – Die besten Wege führen ans Meer
aus dem Englischen von Andrea Fischer
Fischer Taschenbuch Verlag, März 2023
Taschenbuch, 445 Seiten, 13,00 €