Warmherziger, Mut machender Roman, nicht nur über Trauerbewältigung
Von dieser sehr begabten Autorin stammt auch der Roman „Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“, den ich zwar nicht gelesen, dafür aber als Verfilmung mit der wunderbaren Iris Berben gesehen habe. Und der nun erschienene neue Roman steht dem vorigen in überhaupt nichts nach.
Voller Einfühlungsvermögen, emotional ohne rührselig zu werden, erzählt die Autorin von Marlene. Ihr Mann ist tot, nach dreißig Jahren Ehe. Er war sehr krank gewesen, war selbst Arzt, konnte seinen Zustand daher einschätzen und hatte beschlossen, sich das Leben zu nehmen. Nun ist Marlene plötzlich allein, nachdem ihr Mann ihre ganze Ehe hindurch alles regelte, alles bestimmte.
Und kaum ist die Beerdigung vorbei, scheinen seine drei längst erwachsenen Söhne aus der ersten Ehe diese Funktion weiter betreiben zu wollen, wenn auch unter dem Deckmantel der Fürsorge. Doch Marlene hat ganz andere Pläne. Nach vielen Tagen und Wochen des Dahindämmerns, des Sich Gehenlassens, in denen sie einfach nur dahin treibt, das Essen vergisst, das Einkaufen und vieles mehr, braucht sie allerdings einen Klempner für die Dusche.
Der junge Mann, der dann vor ihrer Tür steht, war früher ein Schüler von ihr, der ehemaligen Grundschullehrerin. Da Jack gerade ziemlich ohne Bleibe dasteht, schlüpft er kurzerhand bei ihr unter, kümmert sich ein wenig um sie, kocht und räumt auf. Als er sich dabei einmal verletzt, lernt er Marlenes Hausärztin Ida kennen – und verliebt sich in sie.
Währenddessen hadert Marlene mit allem, wäre gerne selbst mit ihrem Mann zusammen gestorben. Da erreicht sie eine Nachricht, die sie nach Wien zu einer alten Freundin führen soll. Kurz entschlossen begleiten Ida und Jack Marlene auf dieser Fahrt. Auf der es zu merkwürdigen Begegnungen kommt und Marlene einige Wandlungen und Erfahrungen durchläuft.
Diese Geschichte ist so voller Warmherzigkeit, voller Verständnis, dass man sich eingehüllt fühlt wie in eine flauschige Decke. Dabei wird es nie kitschig, nie rührselig oder schwülstig. Wie es Susann Pásztor gelingt, Marlenes Gefühle – wir lesen den Roman durchgängig und konsequent aus ihrer Perspektive – darzustellen, ihre Wut, ihre Trauer, auch ihre Einsamkeit und Verlorenheit, das ist geradezu genial und beeindruckend. Nie wird die Erzählweise überdramatisiert, nie wird etwas zu dick aufgetragen. Immer bleiben die Figuren lebensecht, lebendig. Man meint, neben ihnen zu sitzen und ihren bei den Gesprächen zu lauschen.
Dabei sind auch die Dialoge stets authentisch, lebensnah, mal ernst, mal voller leisem Humor. Herrlich zum Beispiel das Gespräch zwischen Marlene und den drei Stiefsöhnen, bei dem alle irgendwie aneinander vorbeireden und dennoch alles um ein Thema kreist. Auch Marlene nimmt sich selbst nicht zu ernst. Allein schon der Einstieg in diesen Roman, wenn Marlene sich unter der Tür einer Toilettenkabine hindurchwindet, sorgt für die entsprechende Stimmung, die den gesamten Roman prägt.
Dazu kommen absolut wunderbare Figuren, mit klarem Profil, auch sie alle gelungen gezeichnet, ohne zu viel unwichtige Nebeninformationen, nur das, was für die Handlung und die Entwicklung von Belang ist, wird erwähnt. Auch die Nebenfiguren, die nur kurz auftreten, sind sympathisch, lebensecht, man kann sich in alle und alle Situationen sehr gut einfühlen.
Manches bleibt unerklärt, fast mystisch, übernatürlich. Man muss nicht alles erklären. Dazu gibt es manche unheimlich gute Twists, viele Überraschungen, dabei immer plausible Reaktionen, nichts wirkt unnatürlich. Auch die zarte Liebesgeschichte ist mit wunderbar feinen Worten erzählt. Ich habe diesen Roman in einem Rutsch gelesen, konnte ihn nicht aus der Hand legen.
Das interessante an diesen Geschichten ist, dass es meist neue Bekanntschaften sind, mit denen die Trauernden aus der Talsohle herauskommen. Hier in diesem Roman stimmt das zwar nur bedingt, da Ida mit Marlene bereits bekannt war, aber wohl nicht so eine enge Freundin.
Ein ganz wunderbarer Roman, herzerwärmend, Mut und Zuversicht schenkend.
Susann Pásztor – Von hier aus weiter
Kiepenheuer & Witsch, Februar 2025
Gebundene Ausgabe, 253 Seiten, 24,00 €