Eine einsame Frau mit Ansprüchen – nicht ganz überzeugender Selbstfindungsroman
So recht fand ich keinen Zugang zur Protagonistin dieses Romans, die voller Selbstmitleid ihr männerloses Dasein beklagt, andererseits aber an ihren Ansprüchen scheitert.
Der vorige Roman von Tessa Korber, in dem sie vier Frauen zusammenbringt zu einer Wohngemeinschaft, die mit Humor und Zusammenhalt ihre jeweiligen Probleme und Schicksale bewältigen, gefiel mir gut. Er machte Mut, er zeigte starke Frauen, die selbst oder gemeinsam die kleinen und größeren Steine aus ihren Wegen räumen.
Frieda jedoch, die Hauptfigur dieses neuen Romans, ist ganz anders. Als selbständige Grafikerin arbeitet sie allein und zuhause, hat allerdings einen verlässlichen und ausreichend großen Freundeskreis und auch nette Nachbarn in dem Haus, in dem sie wohnt. Dazu kommt die (unvermeidliche) beste Freundin Yvonne. Beide Frauen sind Mitte Fünfzig, Yvonne jedoch möchte lieber Initiativen ergreifen als wartend daheim zu sitzen. Also meldet sie sich und Frieda bei einer Dating-App an (kein neuer Trope in solchen Romanen) und geht bald von Date zu Date. Für Frieda ist das eher nichts.
Sie urteilt oder verurteilt oft gleich nach dem ersten Anblick, dem ersten Wort. Sie denkt dabei aber ständig an das was sie versäumt, was sich nicht nur auf Liebe, sondern vor allem auch auf Sex bezieht. Bei Männern nennt man solche Stimmung Torschlusspanik. Warum diese Hauptfigur die ganze Zeit in Selbstmitleid ertrinkt, hat sich mir bei der Lektüre nicht erschlossen. Sie sieht gut aus, ist attraktiv, ist selbstständig, wenn auch wenig selbstbewusst. Sie braucht auch keinen Ernährer, verdient selbst ausreichend. Ein wenig wirkt sie wie aus der Zeit gefallen, würde mit ihrem Verhalten, ihrem Auftreten und ihrer Kleidung besser in die fünfziger oder sechziger Jahre passen.
Bei all den Selbstreflexionen übersieht Frieda fast, dass sich ihr bereits eine Mitbewohnerin anbietet. Denn vor ihrem Fenster schleicht eine Katze herum, die Frieda ununterbrochen beobachtet. Dabei können wir das Ganze dann in mehreren Szenen aus Sicht dieser Katze lesen, erzählt uns die Autorin doch die Gedanken des Tiers.
In meinen Augen ist das gänzlich missglückt. Man versteht weder, warum die Katze sich veranlasst sieht, Frieda zu beobachten, ja durch die ganze Stadt zu verfolgen. Noch, warum sie Friedas Aktivitäten kommentiert, also ganz offensichtlich durchschaut. Für mich ist das alles nicht nachvollziehbar, dafür viele andere Szenen leider sehr vorhersehbar.
Schade, dass der Roman sein Potential so verschenkt, zumal die Autorin mit dem vorigen Buch gezeigt hat, dass sie es besser, lebendigere Charaktere erschaffen kann.
Tessa Korber – Das Leben im Großen und Ganzen
DuMont, Oktober 2023
Gebundene Ausgabe, 301 Seiten, 23,00 €
Schau auch hier: Tessa Korber – Alte Freundinnen